22 Mrz

Generationswechsel bei der Stuttgarter Zahnradbahn “Zacke”

Stuttgart Marienplatz, willkommen bei der Stuttgarter Zahnradbahn mit Ziel Degerloch.

Ende der siebziger Jahre machte ich in Stuttgart meine Ausbildung. Damals fuhren noch die alten Esslinger Triebwagen aus den dreissiger Jahren mit ihren zweiachsigen Vorstellwagen auf der “Zacke”, wie die Stuttgarter liebevoll ihre Zahnradbahn vom Marienplatz nach Degerloch nennen. Die aktuell eingesetzten Triebwagen ZT 4 1001 bis 1003 stammen aus dem Jahre 1982. Sie waren ein Gemeinschaftswerk der SLM Winterthur, welche die Zahnradantriebe lieferte und MAN, die die Wagenkästen erstellte. Damals bekam ich diesen Generationswechsel hautnah mit. Alles war auf einmal modern. Jetzt nach genau 40 Jahren werden die in die Jahre gekommenen Meterspur Triebwagen durch drei neue Fahrzeuge von Stadler/Bussnang ersetzt. Der erste Triebwagen mit der Nr. 1101 wurde im Oktober 2021 abgeliefert. Nachts ab 21.00 Uhr, wenn der Planbetrieb ruht, werden mit dem neuen Fahrzeugen Probe- und Einstellfahrten durchgeführt. Mitte Februar 22 wurde das zweite Fahrzeug Nr. 1102 abgeliefert.

Wir hatten das grosse Glück, bei unserem Abschiedsbesuch für die alten Triebwagen am 10. März 22 den neuen Triebwagen 1102 auf seiner ersten Probefahrt tagsüber erleben zu dürfen. Er fuhr am Morgen vom Depot am Marienplatz nach Degerloch und kurz vor Mittag wieder zurück ins Depot. Der dritte Triebwagen soll in den nächsten Monaten abgeliefert werden. Nach weiteren Abnahmefahrten sollen die drei neuen Triebwagen im Laufe diesen Jahres die Fahrzeuge aus den achtziger Jahren ersetzen. Die Fa. Steck in Bowil liefert der Zacke drei neue Vorstellwagen für den Fahrradtransport.

Die Triebwagen 1001 und 1002 werden abgebrochen, der 1003 soll im Strassenbahndepot in Bad Cannstatt museal erhalten bleiben. Dort befindet sich seit 1984 der alte Esslinger Triebwagen 104 und der Vorstellwagen 120. Gehen Sie mit mir nun auf eine Reise vom Marienplatz zum Depot, dann über die neue Weinsteige bis nach der “Bergstation” Degerloch.

Bei der Ausfahrt aus der Talstation Marienplatz geht es steil bergan in Richtung Liststrasse. Links grüsst der bekannte Stuttgarter Fernsehturm.

Links hinter dem Triebwagen befindet sich die Weiche zum Depot.

Auch nach 40 Jahren befindet sich der Innenraum in einem ordentlichen Zustand.

Hier ein Blick in das alte Depot. Dieses wird Nachts zum Abstellen der Triebwagen und als Veranstaltungsraum für das in diesem Gebäude ansässige Theater benutzt. Im Depot ist Triebwagen 1003 abgestellt.

Im modernen Werkstattraum steht der neue Triebwagen 1102. Innen sind die Techniker der Stuttgarter Strassenbahn AG und von Stadler an der Arbeit.

Nach der Haltestelle Liststrasse geht es weiter bergan in Richtung neue Weinsteige. Im Hintergrund ein Teil der Stadt Stuttgart.
Auf der neuen Weinsteige geht es sehr beengt zu. Obwohl Einbahnstrasse, kommen immer wieder Autos aus beiden Richtungen daher gefahren. In Kürze erreicht der Triebwagen die Ausweiche Wielandshöhe.
In der Wielandshöhe kreuzen sich planmässig die beiden Triebwagen. Die Strecke ist 2,1 km lang. Für eine Fahrt werden zehn Minuten benötigt. Es herrscht von 5 Uhr bis 21 Uhr der 15 Minutentakt. Abends fährt der Bus.

Von der neuen Weinsteige hat der Fahrgast einen wunderbaren Blick auf den Stuttgarter Talkessel.

An der Haltestelle Haigst, Schwäbisch “Höchst” – der höchste Punkt der Weinsteige, hat es wunderschöne Jugendstilgebäude.
Die gleiche Szenerie wie oben mit dem Blick auf die Stuttgarter Innenstadt.

Weiter geht die Bergfahrt zur Nägelestrasse. Dabei wird die Bundesstrasse vom Stuttgarter Talkessel nach Degerloch überquert.

Jungfernfahrt für den neuen Triebwagen 1102. An der Nägelestrasse befindet er sich gerade auf Talfahrt ins Depot.

Auf Bergfahrt kurz vor der Haltestelle Nägelestrasse.

Ein letzter Frühling für die Triebwagen von 1982. Bald werden sie aufs Altenteil geschickt.
Kurz vor der Haltestelle Degerloch Zahnradbahnhof wird eine größere Strasse mittels Lichtsignal überquert.

Endstation Degerloch. Nach fünf Minuten Pause geht es wieder talwärts zum Marienplatz.
An den Seitenflächen haben die neuen Triebwagen ein stilisiertes Zahnrad. Bald werden sie den Betrieb auf der Zacke übernehmen.

Bei unserem Besuch am 10. März befand sich der im Oktober 21 gelieferte Triebwagen 1101 aus Platzgründen in der Hauptwerkstätte Stuttgart-Möhringen. Wenn die Umstellung auf die neuen Triebwagen erfolgt, werden die alten Triebwagen vom Zahnradgleis entfernt, um für die neuen Triebwagen im Depot Platz zu schaffen. Da keine durchgehende Gleisverbindung zwischen der Endstation Degerloch und der Hauptwerkstätte besteht, müssen die Überfuhren über die Strasse mit einem Tieflader durchgeführt werden.

Reisetipps:

Stuttgart lässt sich von der Schweiz aus bequem mit den durchgehenden IC`s ab Zürich besuchen. Vom Hauptbahnhof aus fährt es sich bequem mit der Stadtbahnlinie 5 in ca. 10 Minuten zur Haltestelle Haigst. Von dort aus sind es bis zur Zahnradbahnstrecke nur ca. 300 Meter Fußweg. Am Vormittag bietet sich an, mit dem Fotografieren auf der neuen Weinsteige zu beginnen. Nachmittags ab ca. 15 Uhr ist das Licht an der Liststrasse ideal. Die neuen Triebwagen werden wahrscheinlich ab Herbst planmässig verkehren. Solange sind noch die alten Triebwagen in Betrieb.

An Sonntagen bietet sich ausserdem der Besuch des Stuttgarter Strassenbahnmusums in Bad Cannstatt an. Von dort aus verkehren jeden Sonntag drei Kurse auf der letzten Meterspur Strassenbahnstrecke von Bad Cannstadt über den Charlottenplatz/Innenstadt bis Ruhebank-Fernsehturm. Eingesetzt werden alte Strassenbahn Triebwagen aus verschiedenen Epochen bis zum Stuttgarter Klassiker, dem GT4 Triebwagen.

17 Mrz

Die LFI Arezzo 1976

Gepäcklokomotive EDz 002 (1949) der LFI in Arezzo. Foto: 1976, R. Schulter

Vor über 40 Jahren erschien in den EA 12/79 und 1/80 eine umfassende Übersicht von Rudolf Schulter, Basel, über die italienischen Privatbahnen, genauer gesagt, regionale Eisenbahnen, die nicht der FS Italia – heute Trenitalia – angehören sondern durch regionale Verwaltungen betrieben werden.

Heute sind die beiden Artikel verkehrsgeschichtlich interessant, denn einige Bahnen sind verschwunden, andere haben sich völlig verändert; das damalige Rollmaterial ist meistens auf dem Schrottplatz gelandet. Rudolf Schulter hat sich bereiterklärt, uns hier in loser Folge einige seiner Reiseeindrücke zur Verfügung zu stellen.

Die LFI, La Ferroviaria Italiana, eine Normalspur-Regionalbahn mitten in der Toskana, besuchte er 1976. Sie ist mit 3000V Gleichstrom elektrifiziert und hatte damals eine interessante Vielfalt an Fahrzeugen. Aus Zeitgründen (die Reise damals ging noch weiter in Richtung Süden) konnten dieser Bahn nur wenige Stunden gewidmet werden. Es gelang aber doch die Mitfahrt. Dabei konnten zwar nicht, sämtliche der damals vorhandenen Triebfahrzeug-Serien im Bild festgehalten werden, zumindest aber einen grossen Teil davon.

Die Strecken Arezzo – Stia (45 km) und Arezzo – Sinalunga (40 km) werden heute mit modernem Rollmaterial durch «Trasporto Ferroviario Toscano» betrieben. Auf den Fotos begeben wir uns aber ins Jahr 1976!

Gepäcklokomotive EDz 11 mit “Treno Locale” der LFI in Arezzo. Foto 1976, R. Schulter

Dieselbe EDz 11 bei Rangiermanövern mit Triebwagen-Wendezug in Porrena-Strada-Montemignaio. An jenen Tagen war die Reststrecke bis Stia wegen Bauarbeiten gesperrt. Hier endeten also vorübergehend die Züge. Foto 1976, R. Schulter.

Damals ein Einzelstück*), EBiz 10 der LFI, in Sinalunga. Foto 1976, R. Schulter

*) Diese Triebwagenbauart war, bei kleineren oder grösseren technischen Abweichnungen, auch bei andern Bahnen anzutreffen.

Etwas Besonderes waren die fünf Triebwagen-Wendezüge (TW+ Steuerwg.) M 1 bis 5: Die Wagenkasten aus rostfreiem Stahl, 1938 von Piaggio gebaut, überraschten etwas durch ihre Ästhetik. Foto in Arezzo 1976, R. Schulter

In Porrena-Strada-Montemignaio rangiert ein Triebwagenzug der TW-Reihe EBiz 7 bis 9 zwei Güterwagen des Baudienstes. Foto 1976, R. Schulter

09 Mrz

Ukraine vor 8 Jahren …

Von Johannes Läubli, EMF St. Gallen

Stille im Normal-/Breitspurbahnhof Vynohradiv

Gerne schliesse ich mich dem Blog von Christian Ammann an. Eine Gruppe von Eisenbahnfreunden folgte der Einladung von Migu Schneeberger (Verein Ostgleis, www.ostgleis.ch), vom 1. – 7.März 2014 durch Ungarn und den südwestlichen Teil der Ukraine zu reisen. Täglich wurden aber auch die Nachrichten über den Vorstoss der Russen auf die Krim und den Südosten verfolgt.

In Transkarpathien, also unmittelbar jenseits der ungarisch-ukrainischen Grenze, besuchten wir die Borzhatalbahn, ein einstmals ausgedehntes Netz in Schmalspur von 750 mm. Wir hatten das Vergnügen, an einem Markttag von Vynohradiv nach Chmilnyk mitzufahren.

Auf der Schmalspurseite dagegen das volle Marktleben- und über die Weiche im Vordergrund wird nach der Rückkehr umfahren !

Der bereitstehende Zug…

…bringt die Einkäufe ins Dorf Oleschnyk zurück

Für Hoffnung auf Obst und Beeren wurde ebenfalls gesorgt.

Beschauliche Dorfpassage in Shalanky. .. Übrigens: Die Wagen sind blau, das Schwärzliche ist aus der Lok “entflogenes” Dieselöl.

Der Lokführer ist immerhin froh, dass seine Maschine läuft.

Und wir fahren vorne mit.

Die zwei letzten Passagiere vor der einsamen Endstation Chmilnyk.

Umfahren in Chmilnyk.

Für die nachmittaglichen Marktrückkehrer braucht es eine dritten Wagen – einen ölfreien.

Auf dem Rückweg macht der Fahrplanzug für uns einen Fotohalt.

Verladen auf freier Strecke.

Zurück im Markt – die Lok hat bereits vorgezogen und sollte nun über das linke Gleis zurück.
Ausserhalb des Dorfes erwischen wir den Triebwagen auf Breitspur.

Im Güterbahnhof Berehove (noch immer russisch angeschrieben: Beregovo) gähnender Stillstand – ausser ein paar Bahnliebhabern.

Am nächsten Tag noch einmal ein Blick auf die Schmalspurbahn – ist aber nichts passiert …

Nächstes Ziel war Korolevo, wo der Baudienst im Einsatz war…

… aber auch das Triebwagendepot liegt – hier das Personalhaus.

Und hier das saubere Gleisfeld.

Ein Blick ins Innere des D1 769-3.

Dann führt man uns eine halbe Stunde durch die ganze Werkstätte – hier nur ein Bild.

Weiterfahrt nach Kolotschawa – abseits jeder Bahn, aber mit einem Freilichtmuseum mit einigen Metern Schmalspurgleis und der einzigen in Transkarpatien erhaltenen Dampflok auf 750 mm. (sh. NiK, EA 6/21)

Auch eine Sanitätsdraisine steht dort, vermutlich von einer Waldbahn.

Habe ich «Waldbahn» geschrieben ? Unsere Reise geht über die Karpaten nach Vyhoda, Dort steht nicht nur ein solides Denkmal mit Schmalspurlok PT4 274, sondern auch noch aktive Gefährte, unter anderen ein TU6P.

Mit diesem Gefährt befahren wir eine Strecke von 21 km, erst über Land, dann durch ein unwegsames Tal zu den Holzverladeplätzen…

…wo sich seltsame Rückefahrzeuge tummeln.

Einfahrt eines Leerzuges mit einer TU8 und einer Ladung neuer Schwellen, nicht imprägniert …

… und mit einem Caboose.

Vor der Talfahrt ergibt sich ein kompliziertes Wendemanöver über ein Gleisdreieck.

Diesen Bahnhof kennen unterdessen alle, allerdings jetzt voll mit flüchtenden Menschen: L’wiw.

Auf Gleis 1 ist der Zug 86 nach Simferopol auf der Krim angezeigt.

Hier ist der Zug – am 5. März 2014 – ob er sein Ziel noch erreicht hat ?

Unsere Gruppe hatte das Glück, dass wir uns der Sonderfahrt einer literaturbegeisterten Gruppe (wohl Studenten und Professoren) anschliessen konnten, die den 200. Geburtstag des ukrainischen Nationaldichters Taras Shevtchenko feierten.

Wir erlebten die ukrainische Liebe zur Literatur,

aber auch die Liebe zu alter Technik.

Die Lok L 3535 (Achsfolge 1E) zeigte sich von der besten Seite.

Unsere kleine Gruppe durfte anschliessend auf dem Tender bis ins Lokomotivdepot mitfahren und sich dort vom edlen Zugpferd verabschieden.

Eine Extra-Strassenbahn holte uns am Bahnhof ab.

… und brachte uns zum Depot, wo wir den wenige Monate alten Prototyp 1179 besichtigten, der von einem Hersteller in L’wiw (Elektrotrans, sh. auch EA 8/13) stammt.

Am gleichen Abend nahmen wir im Nachtzug nach Budapest Abschied von der Ukraine.

Text und Fotos: Johannes Läubli, EMF St. Gallen

03 Mrz

Schytomyr vor 29 Jahren

Dzherelo-Extrazug mit P36 0050 am 12. 9. 1993 in Schytomyr

Im schrecklichen Invasionskrieg in der Ukraine geraten kaum bekannte Städte in die beängstigenden Schlagzeilen: Russische Raketen auf Schytomyr, eine Stadt 120 km westlich von Kiew.

Meine persönlichen Erinnerungen an die Ukraine sind mit den Hotelzugreisen verbunden, die das ukrainische Reisebüro Dzherelo zur letzten Jahrtausendwende anbot. 1992 hatte man interessierten Reiseveranstaltern einen Hotelextrazug präsentiert, mit dem eisenbahnkundliche Reisen durch die damals vor einem Jahr unabhängig gewordene Ukraine unternommen werden konnten. Der Zug aus Schlaf-, Speise- und Barwagen war nicht nur Unterkunft und Transportmittel. Für Fotos, z.B. Scheinanfahrten spannte ihm Dzherelo auf landschaftlich interessanten Strecken auch eigene oder gemietete Dampflokomotiven vor.

Zwischen 1993 und 2008 wurden jährlich zahlreiche Fahrten mit englischen, deutschen, niederländischen, tschechischen, österreichischen und schweizerischen Organisatoren durchgeführt, beispielsweise 15 Fahrten 1995, je 13 Fahrten 1996 und 1997. Ab 2000 zeichnete sich ein Rückgang ab, 2007 waren es noch zwei Reisen. Vom 16.–23. Februar 2008 fand die letzte Reise statt, mit rund 120 Teilnehmern in 13 Wagen (EA 6/08). Danach verkaufte Dzherelo die eigenen Dampflokomotiven.

Die nachfolgenden Fotos entstanden am 12. September 1993. Schytomyr war nach unserer Ankunft in Kiew der erste Zwischenhalt mit dem Hotelzug. Wir besuchten die damals eher heruntergekommene ukrainische Provinzstadt wegen ihrem meterspurigen Tramnetz und auf dem Weg zum wichtigen Eisenbahnknotenpunkt Korosten.

Die fast 30-jährigen Fotos zeigen nicht das heutige Schytomyr und sie geben auch nur einen subjektiven Eindruck vom damaligen Schienenverkehr mit Fokus auf verkehrsgeschichtlich interessante Fahrzeuge. Sie sollen Schytomyr aber etwas herausholen aus der Anonymität der Kriegsmeldungen.

Ausfahrender Riga-Dieseltriebwagenzug in Schytomyr, 12. 9. 1993
Die aus Weissrussland angemietete P 36 0050 vor dem Dzherelo-Hotelzug in Schytomyr 12. 9. 1993
Diese Tatra-Trams besorgten damals den meterspurigen Tramverkehr von Schytomyr. Im Depot interessierten uns aber natürlich besonders die älteren und abgestellten Fahrzeuge.
So begegneten uns auch verschiedene Überreste von Gotha-Wagen, welche die DDR in die Sowjetunion geliefert hatte.
Natürlich waren auch die urigen Dienstfahrzeuge ein Foto wert…
Auf weniger Begeisterung bei den “Touristen” stiess dieser “historische” Tramwagen 1, hier noch hellblau angepinselt.
Doch nun ging es hinter der gewaltigen P36 0050 Richtung Korosten, mit Scheinanfahrt an der Irsabrücke und weiteren Fotohalten.

Alle Fotos: Christian Ammann, 12. 9. 1993