18 Apr

Torfbahnen im Baltikum

Von José Banaudo, Nizza

In der 6. Folge unseres Reiseberichts über die Bahnen im Baltikum geht es nun um eine regionale Besonderheit, den Torfabbau. Gleich wie im benachbarten Russland und Weissrussland existiert auch in den drei baltischen Staaten ein industrieller Torfabbau, um Torfbriketts zum Heizen oder Torf für Blumenerde zu gewinnen. Zur sowjetischen Zeit waren all diese Torfabbaugebiete mit 750 mm-spurigen Bahnen erschlossen, die innerhalb der Torfmoore geeigneter waren als die Anlage von Strassen und Pisten. Die damals gelieferten, standardisierten Fahrzeuge der sowjetischen Industrie wurden im Lauf der Jahrzehnte mit viel Improvisationsgeist an die örtlichen Bedürfnisse angepasst und umgebaut.

Wir wussten, dass im Baltikum sehr faszinierende Torfbahnen existieren mussten, doch wie besuchen? Basis bildete eine vor etwa 15 Jahren, natürlich nicht mehr aktuelle Liste eines englischen Eisenbahnfreunds, dann die Suche auf Google View. Danach war die Herausforderung, die Bahnen in den weitab von den Städten gelegenen Torfmooren zu finden. Auch wenn praktisch niemand des Personals Englisch- oder Deutschkenntnisse hatte, war es dann aber relativ einfach, im persönlichen Kontakt vor Ort zu kommunizieren und die Erlaubnis zum Fotografieren zu bekommen. Klar, nur schon die Bezeichnung Torfbahnzug ist in den drei baltischen Sprachen unterschiedlich: «turva rong» (estnisch), « kūdras vilciens » (lettisch) und « durpiu traukinys » (litauisch) ! Fast am Schwierigsten ist aber, auf englischen, deutschen, dänischen, estnischen und russischen Internetseiten Informationen über den kunterbunten Fahrzeugpark zu finden. Ich hoffe deshalb, dass die nachfolgenden Angaben grösstenteils stimmen und nehme gerne Berichtigungen von Spezialisten entgegen.

Es kann losgehen. Aber passen wir auf, wo wir hintreten!

Beginnen wir mit Estland

Das Torfgebiet von Sangla liegt nahe des Dorfes Puhja (Kreis Tartu), wo sich eine Torfverarbeitungsfabrik befindet, betrieben von der englischen Gruppe Peat Mill. Der sehr freundliche, englisch sprechende Leiter dieses Werks informierte uns, dass das rund 8 km lange Torfbahnnetz nicht mehr betrieben werde und das Rollmaterial 2020 verkauft werde. Ein Angestellter führte uns dann im Auto zum kleinen Depot, wo dieses ganz spezielle Fahrzeug steht: Die vierachsige, dieselhydraulische Lokomotive TU6A 1789, (127 PS) gebaut von Kambarka, wurde zwischen 1972 und 1988 in einer Serie von 3915 Fahrzeugen gebaut. Die Führerkabine trägt noch das Signet SSSR auf kyrillisch, CCCP und sogar das Wappen der Sowjetunion! Doch als der Motor den Geist aufgab, verwendete man statt eines Ersatzes aus Russland den Motor eines Volvo-Lastwagens FL12 und baute diesen zusammen mit der Führerkabine an einem Lokende direkt über einem Fahrgestell auf. Ein anderes Fahrzeug wurde auf gleiche Weise mit einem Scania-Motor ausgerüstet.

Besuchen wir nun in Lettland den Torfabbau in Inčukalns. Betrieben wird er von der dänischen Gruppe SIA Pindstrup und das Netz umfasst ungefähr 3 km. Der Vorarbeiter, den wir am Eingang treffen, gibt uns gelbe Warnwesten und weist uns den Weg dorthin, wo demnächst ein Zug ankommen wird. Und bald ist er da. Er wird von einer Art Lieferwagen auf Schienen des sowjetischen Typs MD54-4 mit der Nummer 900073 gezogen. Etwa 7000 Exemplare dieses Typs wurden zwischen 1958 und 1974 von den Maschinenfabriken IstMZ in Istye und der Wagenfabrik von Kalinin (heute Twer) gebaut. Die Leistung übersteigt nicht 54 PS und die Ladelast pro Achse ist auf 2,6 t beschränkt, um auf schlecht unterhaltenen Gleisen fahren zu können. Weil der Gleiszustand in Inčukalns mehr Last erlaubt wurden zwei Wassertanks angebracht, um die Adhäsion zu verbessern.

Am Gleisende angekommen, wird der Zug durch eine Einrichtung geleert, die einen Container nach dem andern hochhebt und den Torf auf einen grossen Haufen zum Abtransport durch Lastwagen schüttet. Auf jedem Wagen sind zwei Container.

Auf Sichtdistanz von einigen hundert Metern hinter dem Torfzug folgt ein weiterer Zug. Aus der Ferne können wir lange nicht erkennen, was sich uns da nähert: Ein kleiner Schienentraktor mit einem Personenwagen (mit Ofenheizung), der zum Personaltransport zum Abbau und zur Lebensmittelversorgung dient.

Der Personenwagen mit seinen gesickten Seitenwänden ist klar ein Fahrzeug aus sowjetischer Zeit, der Schienentraktor Nr. 013 ist aber dänischer Herkunft. Er wurde 1941 durch die Maschinenfabrik Pedershaab produziert und seither öfters umgebaut.

In Litauen trifft man auf die meisten Torfbahnen. Jene von Rėkyva befindet sich am Ufer eines Sees, im Süden des Eisenbahnknotens Šiauliai, wohin sie auch mit einem breitspurigen Anschlussgleis verbunden ist. Die Gesellschaft AB Rėkyva betreibt ein Netz von etwa 8 km, wo verschiedene vierachsige Diesellokomotiven aus sowjetischer Produktion im Einsatz stehen.

Die Nr. 421 0002 dürfte wohl eine TU4 sein, dieselhydraulisch mit 250 PS, die zwischen 1961 und 1972 in 3210 Exemplaren in Kambarka gebaut wurde.

Die Lokomotive 400 1987 gehört zum Typ ESU2A, ausgerüstet mit einer grossen Kabine für den Personaltransport und einem Generator zur Lieferung von Elektrizität im freien Gelände. Von diesem Typ mit einem Dieselmotor von 108 PS wurden zwischen 1972 und 1988 tausend Exemplare von «Gubinskim Mekanicheskim Zavodom»

Die TU8 400 1902 fährt mit leeren Wagen zum Ufer des Rėkyva-See, um Torf zu laden. Diese vierachsige, dieselmechanische Lok mit 180 PS ist das modernste Fahrzeug. Sie wurde ab 1988 in einigen hundert Exemplaren von Kambarka gebaut; vier meterspurige Loks wurden auch nach Vietnam exportiert.

Wir beenden unseren kleinen Bericht über die baltischen Torfbahnen mit der litauischen Bahn in Sulinkiai. Das Netz von über 20 km wird von der Gesellschaft UAB Sulinkiai betrieben und besteht vor allem aus einer langen Strecke, die das Hauptabbaugebiet mit der nördlich gelegenen Torfverarbeitungsfabrik verbindet, unweit des wichtigen Abzweigbahnhofs von Radviliškis. Ein Anwohner des Depots, das wir abends verlassen vorfinden, erzählt uns, dass die Züge normalerweise morgens fahren. So begeben wir uns am nächsten Morgen an die Strecke und treffen bald auf einen angehaltenen Zug. Der Lokführer und ein Begleiter sind damit beschäftigt, eine lockere Schienenschraube anzuziehen. Dann fährt der Zug hinter der vierachsigen Kambarka-Lok TU4 (250 PS) weiter, die auch einen Satz Drahtseilschlingen und eine komplette Schneidbrennausrüstung mitführt, alles, was es im Fall einer Entgleisung braucht.

Als der Zug auf unser Höhe ankommt gibt uns der Lokführer heftig Zeichen Richtung Ende seines Zuges, und wir begreifen, dass er uns auf einen folgenden Zug aufmerksam machen will. Etwa eine Viertelstunde später folgt eine vierachsige Kambarka der Serie TU6A (127 PS) an der Spitze eines Torfzugs, hier am Niveauübergang beim Dorf Batkūnai.

Nach Ablad der beiden Züge an der Torfverarbeitungsfabrik kehren die beiden Lokomotiven TU4 et TU6A ins Depot Radviliškis zurück, wo ein Lokführer kurz Unterhaltsarbeiten ausführt, danach die Türen schliesst und zum Mittagessen geht. Für uns Zeit zum Verabschieden.

Damit schliessen wir diesen kleinen Bericht, und ich hoffe, die Fahrzeuge weitgehend richtig identifiziert zu haben. Im Baltikum sollte noch etwa ein Dutzend Torfbahnen existieren, deren Besuch ein ganzes Reiseprogramm ausfüllen würde.

Alle Fotos: J. Banaudo

Übersetzung: C. Ammann

15 Apr

Lettland (2) Die Schmalspurbahn von Gulbene

Von José Banaudo, Nizza

Im November letzten Jahres endete die Blogserie über unsere Reise durch die baltischen Staaten vom 1. –15. September 2019 plötzlich nach der 4. Folge. Grund: Internetpanne, und dann musste der Reisebericht wegen anderer Arbeit vorerst warten. Nun fahren wir aber wieder weiter, auf 750 mm-Spur.

Die breitspurige Stichstrecke der Latvijas dzelzceļš (LDZ) von Pļaviņas (Strecke Rīga–Krustpils) nach Gulbene ist immer noch für den Güterverkehr geöffnet. Im Personenverkehr fährt Pasažieru vilciens aber nur noch zweimal wöchentlich bis zur Unterwegsstation Madona. Die Ankunft eines Personenzugs in der Endstation Gulbene ist deshalb ungewöhnlich. Grund für den Extrazug aus Rīga war an jenem 7. September 2019 das jedes Jahr stattfindende Schmalspurbahnfest. Eingesetzt wurde der dieselelektrische Triebzug DR1A 227. Er gehört zur ab 1977 gebauten, verbesserten Version einer ab 1963 von RVR in Rīga gebauten Fahrzeugserie.

Im breit- und schmalspurigen Depot Gulbene sind als Denkmal die schöne, ölgefeuerte L 4578 und ein Schlafwagen aufgestellt. Schade, dass die Triebstangen abmontiert sind, sonst könnte man fast meinen, die Dampflok sei bereit zur Abfahrt. Sie gehört zu einer Serie von etwa 4200 Lokomotiven, die von 1945 bis 1955 für die sowjetischen Eisenbahnen gebaut wurden und wovon noch zahlreiche Exemplare in den drei baltischen Staaten als Denkmäler aufgestellt sind.

Das Fabrikschild der Lokomotivfabrik des Transportministeriums (Mintransmach) «Oktover-Revolution» in Woroschilowgrad verrät 1952 als Baujahr der Л / L 4578.

Gulbene ist Ausgangspunkt der letzten Schmalspurbahn des Baltikums mit noch täglichem Personenverkehr. Die 33 km lange Strecke in 750 mm-Spur wird von der privaten Gesellschaft SIA Gulbenes–Alūksnes bānītis betrieben. Die dieselhydraulische TU7A 2994, hier im Depot Gulbene, wurde 1988 von der Maschinenfabrik Kambarka gebaut. Sie hat einen 400 PS-Motor und gehört zu einer Serie von über 3350 Exemplaren, die ab 1971 an viele öffentliche und Industriebahnen der Sowjetunion und anderer Staaten geliefert wurden, in Spurweiten von 750 mm bis 1067 mm.

Vor dem alten Bahnhofgebäude von Gulbene rangiert eine andere Diesellok, die TU7A 3018 die Dampflokomotive, die für den um 13 Uhr abfahrenden Zug angeheizt wird. 

Die Schmalspurbahn Gulbene–Alūksne, genannt «Bānītis» (aus dem Deutschen entlehnt Bahn in Verkleinerungsform, also schweizerisch «Bähnli»…), wird täglich am Nachmittag von 2 Zugpaaren bedient. Zug 694 mit Abfahrt um 13 Uhr wird heute in Dampftraktion geführt. Aus Anlass des «Bānītis»-Fests sind Lok und Wagen mit Feldblumen geschmückt, und der Dampfzug wird für die 33 km lange Strecke 1 Std. 50 Min. brauchen, statt der üblichen 1 Std. 25 Min. mit Dieseltraktion. Denn dieses Fest ist ein Volksfest mit Musik und Verkauf regionaler Produkte an jedem Bahnhof.

Während des zwanzig minütigen Aufenthalts in Kalniena können wir zu den Klängen einer Rockgruppe die Lokomotive Gr 319 «Ferdinands», näher anschauen. Es handelt sich um eine Vierkupplerlok mit Schlepptender, hergestellt 1951 vom Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg in der DDR, dem früheren Werk von Orenstein & Koppel. 420 Maschinen dieses Typs wurden von 1947 bis 1954 als Reparationsleistung an die Sowjetunion geliefert (Gr = Germanskaja reparazja). Die an «Bānītis» ausgeliehene Lok gehört dem estnischen Schmalspurbahnmuseum in Lavassaare.

Während eines weiteren 20-Min. Halts in der Waldlichtung von Paparde erhält die Dampflokomotive Wasser aus einem schönen alten Wasserturm mit Holzverkleidung.

Ein Zugbegleiter benützt den Aufenthalt in Paparde um das Brennholz in den vorderen Teil des Tenders umzubeigen. In den baltischen Staaten wie auch in Finnland ermöglichten die grossen Wälder die Holzfeuerung der Dampflokomotiven. Der Tender ist mit feinen Zierlinien in den estnischen Nationalfarben weiss, blau und schwarz geschmückt.

Auf der Weiterfahrt passiert Zug 694 einen Abstellplatz für Draisinen in Umernieki. Die ersten drei Wagen des Zugs sind mit ihren gesickten Seitenwänden typisch sowjetische Fahrzeuge (Maschinenfabrik Demichowo, 1987-89), die beiden letzten Wagen sind charakteristische Wagen von Pafawag à Wrocław, 1960.

Auf dem letzten Streckenabschnitt wird die Landschaft Richtung Vējiņi hügeliger. Bald kommen wir im Endbahnhof Alūksne, wo die Menschenmenge auf den Gleisen das Fotografieren schwieriger macht. Wir werden deshalb nach Gulbene zurückfahren und noch Fotos von der Dampflokomotive – Tender voraus – machen.

Im schönen Bahnhof von Gulbene (erbaut 1926 und nach dem Krieg nach alten Plänen rekonstruiert) endet unsere Exkursion mit einem Bild des Zugs 696, Abfahrt um 18 Uhr. An der Spitze die Kambarka-Diesellok TU7A 3018 mit den drei sowjetischen Wagen des Dampfzugs. Das Fest ist zu Ende. Der Normalbetrieb der kleinen Bahn in der lettischen Seenlandschaft geht weiter und der breitspurige Triebwagenzug bringt die Festbesucher in die Hauptstadt Rīga zurück.

Alle Fotos: J. Banaudo
Übersetzung: C. Ammann

04 Apr

Der öffentliche Verkehr während der Corona-Pandemie: Der Pandemiefahrplan 2020

Im EA 4/20 konnten wir unter “Neues in Kürze” noch knapp über die ersten Verkehrseinschränkungen im grenzüberschreitenden Verkehr aufgrund von Covid-19 berichten. Über Einschränkungen im Binnenverkehr wurde nach Redaktionsschluss entschieden. Der Bericht Pandemiefahrplan20 unter eisenbahn.amateur.ch > Aktuell > Beiträge zeigt eine Übersicht des Schweizer Bahnangebots während des Pandemiefahrplans 2020, auch “Übergangsfahrplan” genannt. Der Bericht wird wenn möglich periodisch aktualisiert.

Für jede Reise soll der Online-Fahrplan kurz vorher nochmals konsultiert werden.

Die Behörden rufen dazu auf, den öV möglichst zu meiden und insbesondere Ausflüge ins Tessin zu unterlassen.