22 Jul

Litauen (1)

Von José Banaudo, Nizza

Auf unserer Reise im September 2019 folgt nun Litauen, die südlichste der drei baltischen Republiken. Litauen grenzt an Weissrussland, Polen und als geopolitische Besonderheit an die russische Exklave Kaliningrad. Hier handelt es sich um die einst deutsche Stadt Königsberg im nördlichen Ostpreussen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs von der Sowjetunion annektiert und als eisfreie Marinebasis an der Ostsee ausgebaut wurde. Seit Auflösung der Sowjetunion ist Kaliningrad ein für Russland strategisch sehr wichtiges Gebiet, vollständig umgeben von NATO-Staaten. In der nächsten Folge zeigen wir den für das Kaliningrader Gebiet lebenswichtigen Transitverkehr durch Litauen.

Litauen besitzt ein Eisenbahnnetz von 1749 km Länge in der russischen Breitspur 1520 mm. Davon sind nur 122 km mit 22 kV 50 Hz Wechselstrom elektrifiziert. Die litauische Staatsbahn LIETUVOS GELEŽINKELIAI (LG) hat seit 10 Juli 2020 die neue Abkürzung LTG und ihre drei Sparten tragen die Farben der Nationalflagge: LTG Link (Personenverkehr,  rot),  LTG Cargo (Güterverkehr, gelb) und LTG Infra (grün), sh. EA 8/20. In unserem Reisebericht begegnen wir aber noch dem Zustand von September 2019..

Wie bereits früher festgestellt, herrscht unter den baltischen Staaten kein sonderlich reger internationaler Reiseverkehr, und auch in Litauen ist die elektrische Traktion nur um die Hauptstadt Vilnius anzutreffen, auf den Strecken nach Kaunas (zweitgrösste Stadt Litauens), nach Kena (Grenzbahnhof nach Weissrussland) und auf der Vorortsstrecke nach Trakai.

Der «Weisse Ritter», «Vytis» (=der Verfolger), Symbol des Grossfürstentums Litauen seit dem 13. Jahrhundert, prangt auch auf verschiedenen Triebwagen und Lokomotiven der Staatsbahn.

Die einzigen elektrischen Triebfahrzeuge der LTG (wir benützen nun doch die neue Abkürzung) sind heute 13 zwei- oder dreiteilige Doppelstock-Triebwagenzüge der Serie EJ 575, gebaut von Škoda zwischen 2008 und 2016. Im Bahnhof Vilnius, wo eine grosse Passerelle einen herrlichen Fotostandort abgibt, sehen wir den EJ 575 012 neben dem Dieseltriebzug DR1AMv 5002 988, der mit dem Steuerwagen an der Spitze unterwegs ist.

Etwas anders ist die Lackierung des Škoda EJ 575 002, der hier im Bahnhof Palemonas als Regionalzug nach Vilnius abfährt. Dieser Bahnhof im Vorortsbereich von Kaunas war im Zeitpunkt unseres Besuchs Endstation der Züge aus Vilnius, weil im Raum Kaunas wegen des Baus der normalspurigen «Rail Baltica»-Verbindung die Bahnanlagen durchgreifend umgebaut werden.

Die Vollendung dieses von der EU unterstützten Projekts ist für 2026 vorgesehen. Es umfasst eine doppelspurige, elektrifizierte Neubaustrecke von Białystok (Polen) über Kaunas (Litauen), Rīga (Lettland) nach Tallinn (Estland) mit Abzweigungen nach Vilnius und zum Flughafen von Rīga. Ein weiteres Projekt betrifft die Verlängerung durch einen Tunnel unter dem Finnischen Meerbusen nach Helsinki.

Im Depot von Vilnius sind 5 Dieseltriebwagenserien vertreten: Von links nach rechts: ein einteiliger 620M, zweiteilige 630MIL, Triebzüge DR1A und DR1AM, sowie ein dreiteiliger 730ML.

Zwischen Vilnius und Daugavpils in Lettland fahren die Züge nur samstags und sonntags über die Grenze ! Unter der Woche enden die litauischen Züge im litauischen Grenzbahnhof Turmantas oder in Ignalina. In diesem letzteren Bahnhof kreuzt Zug 667 Turmantas–Vilnius mit dem Dieseltriebzug DR1AM 9003 003 den Zug 668 der Gegenrichtung mit dem DR1AMv 9002 831. Diese Züge, von welchen wir in früheren Folgen auch die lettische Version gezeigt habe, wurden ab 1973 von Rīgas Vagonbūves Rūpnīca RVR gebaut.

Der Dieseltriebzug RVR DR1AM 9004 511 mit seinem sehr kantig-klobigen Führerstand steht hier im fast leeren Bahnhof Kaunas, wo der Bahnbetrieb wegen der Bauarbeiten für «Rail Baltica» weitgehend ruhte.

2008 hat die Litauische Staatsbahn 4 Dieseltriebwagen des Typs RA2 erhalten, die in Russland von Metrovagonmasch in Mytischtschi gebaut wurden, nach dem Vorbild von an Russland und die Mongolei gelieferten Fahrzeugen. Ausgerüstet mit zwei 470 PS-Motoren und einem hydraulischen Voith-Antrieb, sind zwei der Fahrzeuge zweiteilig, wie hier der 9003 401 im Bahnhof Šilėnai zwischen Siauliai und Radviliškis.

Die zwei andern russischen Metrovagonmasch RA2-Dieseltriebwagen der LTG sind dreiteilig, wie hier der 9003 301 als Zug Klaipėda–Radviliškis bei der Abfahrt in Tryškiai.

Die 2009 mit 12 Exemplaren von der polnischen PESA aus Bydgoszcz gelieferten, einteiligen 620M haben einen 430 PS-Motor. Hier der 620M 022 bei einer Kreuzung mit einem RA2 im Bahnhof Šilėnai.

Der Dieseltriebwagen PESA 620M 020 fährt in Klaipėda (dem früheren Memel) Richtung Radviliškis ab. Links im Bild, wie in verschiedenen Bahnhöfen im Baltikum, eine Denkmallok, eine sowjetische Dampflok der Serie L, hier die 1160. 

Der zweiteilige Dieseltriebwagen 630MIL 005 rangiert hier in der Ausfahrt des Depots Vilnius. Er gehört zu einer Serie von drei Fahrzeugen, die 2013 von der polnischen PESA geliefert wurden.

Der dreiteilige PESA-Triebwagen 730ML 005 eilt als Schnellzug Vilnius–Klaipėda durch den Bahnhof Lentvaris im Vorortsgebiet von Vilnius. Sieben Fahrzeuge dieses Typs wurden 2016 geliefert. Man beachte die verstärkte Führerkabine im Vergleich zur zweiteiligen Version 630MIL. 

Im Gegensatz zu seinen Nachbarn hat Litauen seit der Aufhebung des Betriebs in Klaipėda 1967 keine Strassenbahn mehr. Aber in Litauen gibt es drei Standseilbahnen : Einen modernen, 2003 in Vilnius eröffneten Schrägaufzug und zwei konventionelle Betriebe in Kaunas. Diese Stadt war von 1920–1940 die provisorische Hauptstadt des unabhängigen Litauens, nachdem Polen das damals mehrheitlich polnisch besiedelte Vilnius, Wilno, annektiert hatte.

Die Standseilbahn von Aleksotas im Süden der Stadt fährt auf einen Hügel am linken Ufer des Flusses Nemunas (deutsch Memel). Die meterspurige, 133 m lange Bahn wurde 1935 eröffnet. Die elektrische Ausrüstung lieferte die deutsche AEG, die Antriebsmotoren und die beiden Wagen die im Standseilbahnbau bekannte Schweizer Firma Theodor Bell in Kriens.

Die Standseilbahn von Žaliakalnis (deutsch: Kaunas–Grüner Baum) fährt auf einen Hügel im Norden der Altstadt von Kaunas, wurde 1931 eröffnet, ist 142 m lang, hat die eher seltene Spurweite von 1200 mm und wurde ebenfalls von der Firma Theodor Bell gebaut. Die beiden Bahnen sind übrigens auch im Standartwerk «Schienenseilbahnen in aller Welt» von Walter Hefti, 1975 zu finden, allerdings mit etwas abweichenden Daten und mit dem Vermerk: «Schicksal unbekannt»… Die Spurweite 1200 mm kam bspw. in der Schweiz bei früheren Standseilbahnen in St. Gallen (Mühlegg), Rheineck–Walzenhausen und in Frankreich (Le Havre, Rouen) zur Anwendung, um gegenüber der Meterspur bei engen Kurven mehr Platz für Seilrollen und Bremszahnstangen zu haben.

In den zwei letzten Folgen geht es um den internationalen Reise- und den Güterverkehr in Litauen.

Alle Fotos: J. Banaudo

Übersetzung: C. Ammann

21 Jul

Daugavpils – als noch die RVZ-6 fuhren

Der vorherige Blog über die Trams von Daugavpils hat mich motiviert, in meinem Bildarchiv nach eigenen Bildern zu suchen, die bei einer Korrespondentenreise von «Today’s Railways» am 17. Mai 2008 entstanden sind. Damals waren auf den drei Linien in Daugavpils nicht nur die T3D aus Schwerin, die klobigen KTM-5A mit ihren Schiebetüren (…), sondern auch noch die RVZ-6 im Einsatz.

Ganz typisch war bei den RVZ-6, dass meistens der Stangenstromabnehmer des vorderen Fahrzeuges unten und jener des hinteren Fahrzeugs oben war, im Gegensatz zu den T3D-Zügen aus Schwerin und den Tatra-Zügen in Rīga.

Die meisten dieser Bilder entstanden im romantischen Abschnitt in der Maizes iela, unweit des Bahnhofs Daugavpils
Tramwagen 64 fährt aus der Maizes iela in die Bahnhofstrasse Stacija iela ein…
…und hier geht es wieder zurück in der Wendeschlaufe Richtung Maizes iela hinunter.

Wer sich für die Thematik der von den amerikanischen PCC-Wagen abgeleiteten oder inspirierten Trams interessiert, findet dazu einige Angaben und Fotos im Bericht Tramverkehr über den «grossen Teich» im EA 7/11.

Alle Fotos: C. Ammann

21 Jul

Lettland (6) – Tram Daugavpils

Von José Banaudo, Nizza

Endlich finde ich Zeit, um die Fotoreportage über Lettland mit den Trams von Daugavpils abzuschliessen. Daugavpils (frühere Namen Dünaburg und Dwinsk) ist mit 95’000 Einwohnern die zweitgrösste Stadt Lettlands und liegt im Südosten, nahe der Grenze zu Litauen und Weissrussland. Die erste Tramlinie wurde zur sowjetischen Zeit am 5. November 1946 in russischer Breitspur ( 1524 mm) eröffnet; 1950 folgte die zweite Strecke, weitere Verlängerungen in den 1950er Jahren, dann 1965 und 1990. Heute umfasst das Netz 3 Linien von rund 25 km Länge und wird von Daugavpils Satiksme (DS) betrieben.

Vor dem Nebendepot 18. Novembra iela (in Erinnerung an den lettischen Unabhängigkeitstag vom 18. November 1918) steht dieser RVZ-6-Tramwagen als Denkmal. Er ist ein klassisches Produkt der Waggonfabrik Rīga, Rīgas Vagonbūves Rūpnīca (RVR), gebaut von 1960 und 1987 und in Daugavpils vor wenigen Jahren aus dem Verkehr gezogen.  Weil  der Wagen zwar von der Strasse aus zu sehen, aber durch ein Gitter nur ungünstig zu fotografieren war, haben wir am Eingang geläutet. Die Pförtnerin kam und rief einen Verantwortlichen,  der verschiedene Sprachen beherrschte, auch französisch, und uns sehr freundlich begleitete, damit wir dieses Foto machen  konnten.

Hier sind wir in der Ventspils iela an einem einspurigen Abschnitt der Linie 2 Butļerova iela–Forštadte, in einem Quartier mit den traditionellen einstöckigen Häusern. Der Triebwagen 101 ist vom Typ KTM5 A des sowjetischen Herstellers Ust-Katawskiy Vagonstroitelny Zavod (UKVZ) in Ust-Kataw, gebaut von 1969 bis 1992 in über 17’000 Exemplaren für zahlreiche sowjetische bzw. russische Städte.

Immer noch auf der Linie 2 verlässt der KTM5 A-Wagen 109 die Endhaltestelle Maizes kombināts im Stadtteil Forštadte (dessen Name vom deutschen Begriff Vorstadt abgeleitet ist) und fährt durch die Andreja Pumpura iela. Alle Fahrzeuge sind Einrichtungswagen und mit einem Stangenstromabnehmer ausgerüstet.

Auf  der Linie 3 Stropi–Cietoksnis (=Zitadelle) fährt der KTM5 A-Wagen 104 an der evangelischen Martin-Luther-Kathedrale der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands vorbei.

Noch ein KTM5 A-Wagen auf der Linie 3, nun  vor der russisch-orthodoxen Boris- und Gleb-Kathedrale, vor der Strassenbrücke, welche das Gleisfeld des Hauptbahnhofs überquert.

Noch ein letztes Bild des für Daugavpils so typischen KTM5 A. Die Nr. 111 nähert sich auf der Linie 3 im Wohngebiet des Waldes von Stropi der Endstation. Hier macht die Strecke seit Februar 2020 einen Umweg, um auch ein Spital zu bedienen. Bei unserem Besuch im September 2019 waren die Bauarbeiten im Gang.  

Der Wagen 114 des Typs KTM8 K, gebaut von 1988 bis 2007, stammt auch aus der Produktion von UKVZ in Ust-Kataw im mittleren Ural. Hier fährt er Richtung Haltestelle Tukuma iela die 18. Novembra iela hoch.

In der 18. Novembra iela begegnen wir dem ČKD Tatra T3D-Wagen 072, unterwegs auf der Linie 1 Stacija (Bahnhof)–Butļerova iela. Diese schönen Fahrzeuge wurden 2002 aus der deutschen Stadt Schwerin übernommen.

Eine halbe Stunde später fährt das gleiche ČKD Tatra T3D-Gespann an der Haltestelle Tukuma iela ab und die 18. Novembra Iela Richtung Bahnhof hinunter. Die vorderen Triebwagen tragen gerade Nummern, die hinteren ungerade, hier also 072 und 073. 

Wir lassen uns nicht aus den Augen… Nochmals begegnen wir dem Gespann ČKD Tatra T3D 072 + 073 an der Endhaltestelle Butļerova iela. Nachdem die Fahrgäste ausgestiegen sind, wird die Wendesschleife beim Depot befahren.  

Die neue Generation russischer Trams aus Ust-Kataw: Hier auf der Linie 1 Butļerova iela–Stacija die Nr. 006 des einteiligen Typs 71-623 mit Niederflur beim der Haltestelle Jelgavas iela, auf einem Abschnitt, der von allen drei Linien befahren wird. Trotz ihrer Ablieferung 2009 haben auch diese 8 Fahrzeuge noch den für Daugavpils tradionellen Stangenstromabnehmer.

Der Wagen 003 (UKVZ 71-623) trifft auf der Linie 1 vom Bahnhof herkommend in der Endstation Butļerova iela an.   

Der Typ UKVZ 71-631 ist eine dreiteilige Gelenkwagenvariante des vorher gezeigten 71-623. Der Wagen 011 ist hier auf der Gemeinschaftsstrecke in der 18. Novembra iela unterwegs. Er ist eines von vier Fahrzeugen, die 2011 aus Ust-Kataw geliefert wurden.

Im Depot Butļerova iela treffen wir auf die neusten Wagen des Typs 71-911 «City Star», die hier noch auf ihre Abnahme warteten (EA 9/19).   Auch die 8 Wagen dieses Typs stammen aus Russland. Sie wurden 2019 durch Tverskoy Vagonstroitelniy Zavod (TVZ) der Transmashholding in Tver gebaut und sind in den traditionellen Hausfarben gelb und dunkelrot lackiert, die sich noch auf den Autobussen erhalten haben. Und als grosse Neuheit für Daugavpils haben sie einen Pantographen statt einen Stangenstromabnehmer!

Alle Fotos: J. Banaudo

Übersetzung: C. Ammann

16 Jul

Blauer Zug in Konstanz

Von Berthold Halves, MECK

Bekanntlich endete die Charterfahrt von ZRT Bahnreise mit der Re 421 387 aus Neustrelitz (Mecklenburgische Seenplatte), Berlin am 7. 7. 2020 in Konstanz. Die weitere Überfuhr des Blauen Zugs durch TR Trans Rail AG nach Oensingen fand am 8. 7. 2020 statt. Berthold Halves fotografierte den Zug vor seiner Abfahrt um 10.21 via Kreuzlingen Hafen–Romanshorn–Frauenfeld.

Die Wagen des Blauen Zugs waren im Bahnwerk Neustrelitz in der Nähe von Berlin revidiert worden, damit sie zukünftig wieder auf dem aktuellen technischen Stand sind, um für Dampfzug- und weitere Erlebnisfahrten eingesetzt werden zu können.

Alle drei Fotos: Berthold Halves

13 Jul

Blauer Zug in Frauenfeld-Ost

Im EA 7/20 haben wir über die «Rheingold» Re 421 387 von IRSI bzw. TR Trans Rail AG Frauenfeld berichtet, die zusammen mit der «TEE» Re 421 393 voraussichtlich auch dem kommenden Herbstverkehr zur Zuckerfabrik Frauenfeld eine faszinierende Note geben wird. Im gleichen EA 7/20 haben wir auch die Charterfahrt Basel-Berlin 4. – 7. Juli 2020 angekündigt, mit der die Wagen des «Blauen Zugs» von Neustrelitz über Konstanz in die Schweiz zurückgeholt wurden.

Natürlich wurde diese Fahrt von vielen Fotografen und Zaungästen verfolgt und beachtet. Für mich bot sich aus verschiedenen Gründen nur an, den Zug am 8. 7. 2020 auf seiner «Leerfahrt» von Konstanz Richtung Balsthal bzw. Lyss in seiner ganzen Länge im Langdorf abzulichten, dort, wo einmal die Haltestelle Frauenfeld-Ost geplant war. Jenes Vorhaben verschwand zwar Ende 2018 in der Schublade. Wie die verschiedenen Bauvisiere zeigen, werden Felder und Wiesen aber bald anders aussehen.

Während der Thurbo-GTW Richtung Felben–Weinfelden eilt, kommt der «Blaue Zug» in Sicht…

… und zeigt sich trotz Masten, Visieren und Büschen in seiner ganzen Länge. Allerdings, auch der Sonnenstand ist kurz nach 11.30 nicht ganz ideal.

Ja, zwischen Büschen und Masten…

… worauf die ganze Pracht hinter den Ruinen der Schützenhausbaracke verschwindet. In einem Jahr werden wir uns sicher noch über die «Rheingold»-Re 421 freuen. Im Langdorf dürfte es dann aber schon etwas bis ziemlich anders aussehen?

Fotos: C. Ammann

24 Jun

150 Jahre Toggenburger Bahn – Modernisierung im 2.Weltkrieg (2. Teil)

Von Johannes Läubli, EMF St.Gallen und DLC Herisau

Vor einem Monat  schrieb ich an dieser Stelle:

Wäre … hätte … das Bahnfest Wattwil … im Blick auf die noch unsichere öffentliche Gesundheitslage… auf 2021 verschoben. Nun – im Toggenburg hat sich etwas geregt und unter der Federführung der Gemeinde Wattwil wird nun das Bahnjubiläum in etwas verkleinerter Form doch gefeiert werden: Am Samstag, 12. September 2020, 10-17 Uhr, unter anderem mit geplanten Publikums-Dampffahrten Wattwil-Ebnat=Kappel-Wattwil
(stündlich von 11:40 bis 16:40 Uhr). Die älteste Teilnehmerin und gleichzeitig älteste Besucherin des Bahnhofs Wattwil (seit 1910 …) , die BT Eb 3/5 9 freut sich, als Zugpferd des Festzuges Wil – Wattwil für geladene Gäste im Einsatz stehen zu dürfen. .

Der DLC (Dampfloki-Club Herisau) wird beim Festen dabei sein, denn – wie bereits geschrieben –  seine Lok hat genau die Hälfte ihres nunmehr 110 Jahre umfassenden Maschinenlebens als Eigentum des DLC verbracht. Bei dieser Gelegenheit wird sie am Freitag 11. September ihre ursprüngliche Stammstrecke Romanshorn – Herisau – Degersheim – Wattwil wieder einmal in voller Länge befahren.

Begleiten  wir nun den Wiler Albert Baumberger auf seinen Foto-Pirschgängen zur Baustelle im Guggenloch bei Lütisburg !

Am 13.10.1940 präsentierte sich der damals 70jährige Viadukt noch ohne Fahrdraht, aber eingehüllt in seine waldige Umgebung, mit einer Ec 3/5 6600, aufgenommen aus Richtung Südwest:

Am 21.5. 1945, also nach erfolgter Elektrifizierung, zeigt ein Bild von gleichen Standort eine Be 4/4 der BT – und bereits fortgeschrittene Umbauarbeiten:

Albert rückte näher heran – und siehe: kein Umbau, sondern ein kompletter Neubau:

Zum Schluss des Tages ein Dreibrückenbild von Osten her mit Bausteg und der heute noch vorhandenen Lütisburger Holzbrücke – und einem Fe 4/4:

Zwei Monate später, am 15.7. sind die neuen Pfeiler bereits in den alten Brückenträger “hineingewachsen” – jetzt wird es für Albert spannend:

Drei Tage später ist er bereits wieder auf dem Platz – Ec 3/5 6613 ist schon da …

… um den Kran in Position zu bringen, der …

… die Hilfsbrückenträger einhebt. Das abgeschlossene Werk lockt etliche Zuschauer an – heute wären die weggesperrt – und nicht mehr barfuss:

Nach weiteren 3 Tagen, am 21.7., ein Fahrplanzug an gleicher Stelle:

Am 29. Juli bestaunen die Sonntagspaziergänger den bereits begonnenen Abbruch des alten Brückenpfeilers:

Am Bundesfeiertag dokumentiert Albert den “Seiltanz” eines BT BCFe 2/4 …

… und erfasst etwa eine Stunde später nach einem Fussmarsch die gemischten Gefühle von Lokführer und Fahrgast:

Vier Tage später und einen Pfeiler weiter segelt ein Fe 4/4 über die Baustelle:

Der südliche Bogen wird bereits aufgemauert:

Die Fahrgäste hinter der Be 4/4 13 gucken genau hin:

Am 12.8. passiert der BCFe 2/4 die traurigen Reste der alten Brückenträger:

Am 30.8. wird noch immer Beton in die Bögen eingebracht:

Am 14.10.1945 ist der neue Guggenlochviadukt praktisch fertig, das Gerüst wird abgebaut:

Fotos: Slg. Dr. N. Widmer(†)

04 Jun

Lettland (5) – Güterverkehr

Von José Banaudo, Nizza,

Nachdem wir in der Folge 4 den Güterverkehr auf den lettischen Bahnen kennengelernt haben, folgen nun einige Bilder aus dem Südosten des Landes. Die 12-achsigen dieselelektrischen Lokomotivriesen, die zu Zeiten der Sowjetunion in der Lokomotivfabrik Oktoberrevolution in Woroschilowgrad, später von der ukrainischen «Luhanskteplowos» in Luhansk gebaut wurden, begegnen uns hier in all ihren Versionen vor internationalen Transitgüterzügen.

Auf diesen nicht elektrifizierten Strecken sind die häufigen Überführungen herrliche Aussichtstribünen für die Fotografen. Die Passerelle südlich der Abzweigung von Krustpils über die Strecke Rīga–Daugavpils ermöglicht einen freien Blick in beide Richtungen. Die 2M62 UM 0086 ist eine der 14 Doppellokomotiven 2M62 U, die 2016–2017 bei LDZ ritošā sastāva serviss (RSS) in Rīga nach Plänen der tschechischen Firma CZ Loko und mit aus deren Werk in Jihlava gelieferten Bestandteilen modernisiert wurden. Ausgerüstet mit zwei Motoren V16 MTU haben sie eine Zugkraft von 6000 PS, eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und können Züge von bis zu 5500 t Anhängelast befördern. 

Die 2TE10 U 0218 kommt hier an der Spitze eines Ölzugs aus Daugavpils in Krustpils an. Unter den über 8000 Lokomotiven der Serie 2TE10 umfasst die Unterserie U mit 5500 PS 548 Einheiten und wurde von 1989 bis 1996 gebaut. Die letzten Lokomotiven wurden noch nach der Unabhängigkeit der Ukraine und nachdem die Lokomotivfabrik 1995 in «Luhanskteplowos» umbenannt worden war, abgeliefert.

Die in strahlendem Rot lackierte 2TE10 M 3451 von LDZ ritošā sastāva serviss gehört zur Unterserie M, mit 2444 Einheiten die mengenmässig grösste, die von 1981 bis 1990 kurz vor dem Ende der Sowjetunion noch abgeliefert wurde. Zu jener Zeit konnten in Woroschilowgrad noch monatlich bis zu 100 Lokomotiven produziert werden.

Die blaue 2TE116 959 von AS Baltijas Ekspresis (BE), beheimatet in Ventspils, nähert sich hier vor einem russischen Ölzug dem Bahnhof Krustpils, unterwegs auf der Güterverkehrstransversale über Jelgava, Tukums II nach Ventspils. Diese Ungetüme wurden in 1723 Exemplaren von 1971 bis 2007, gebaut, sind 6000 PS stark und wiegen 276 t !

Hier die umgebaute 2M62 UM 0090 in Fahrtrichtung Rīga–Daugavpils, bei einem Niveauübergang in Silavas.

Kaum hat der vorhergehende Zug auf dem Kreuzungsgleis von Silavas angehalten, kommt aus der Gegenrichtung ein langer Zug mit offenen Güterwagen hinter der 2TE116 948. Es ist Sonntag, aber die Güterzüge folgen sich auf Blockdistanz.

Im Bahnhof Līvāni begegnet die 2TE116 559 an der Spitze eines Kesselwagenzugs dem Dieseltriebwagen DR1A 227 (aus der Produktion von RVR Rīga), unterwegs nach Daugavpils.

Gruppenfoto mit drei Lokomotivserien im Depot von Daugavpils, nördlich des Bahnhofs: Von links nach rechts die ChME3 MB 02, die 2TE10M 3545n sowie die ChME3 5537, 6151 und 4327.

Man kann sich schwer vorstellen, dass diese orange Rangierlok ChME3 MB unter Verwendung des Untergestells einer ChME3 (rechts im Bild) entstanden ist ! Sie wurde in den Werkstätten von RSS in Rīga mit von der tschechischen Industrie gelieferten Bestandteilen gebaut. Bereits in der vorhergehenden Bildserie sind wir einer solchen Umbaumaschine im Rangierbahnhof Daugava begegnet, allerdings einer ChME3 M, welche die ursprüngliche Nummer 6149 behalten hat. Offen bleibt, warum die Lok in Daugavapils eine ChME3 MB ist und eine tiefe, neue Nummer 02 hat?

Während der Personenverkehr im Bahnhof Daugavpils für die zweitgrösste Stadt Lettlands sehr bescheiden ist, macht ihn die Nähe zu Russland, Weissrussland und Litauen zu einer wichtigen Drehscheibe im internationalen Güterverkehr. Während rechts die lettische 2M62 UM 017 rangiert, ist die weissrussische 2TE10 U 0389 abfahrtsbereit nach dem Grenzbahnhof Indra.

Die zwölfachsige 2TE10 U 0389 der weissrussischen Bielaruskaya Tchihunka (BCh), gebaut in Woroschilowgrad, rangiert im Güterbahnhof von Daugavpils. Ihr Heimatdepot ist Gomel / Homiel, das von hier rund 600 km im Südosten von Weissrussland liegt, eine Stadt die im 20. Jahrhundert schwer gelitten hat (Massaker der jüdischen Bevölkerung, schwere Kriegszerstörungen und schlimme Folgen durch die Atomkatastrophe von Tschernobyl).

Auch die 2TE10 U 0145 der weissrussischen BCh ist in Gomel beheimatet. Sie steht abfahrbereit in Daugavpils Richtung Weissrussland vor einem Zug praktisch neuer hochwandiger Güterwagen.

Doch ein anderer Zug hat noch Vorrang vor jenem der 2TE10 U 0145 und verlässt mit Getöse den Bahnhof Daugavpils hinter der weissrussischen 2TE10 MK 3352 aus dem Depot Witebsk. Die neu motorisierte Unterserie MK entstand 1981 mit nur 20 Exemplaren.

Gerne hoffe ich, dass Ihnen die Parade der grossen sowjetischen Diesellokomotiven gefallen hat. Bevor wir aber Lettland verlassen, werden wir noch dem faszinierenden Tramnetz von Daugavpils einen Besuch abstatten.

Alle Fotos: J.Banaudo

Übersetzung: C. Ammann

02 Jun

Lettland (4) – Güterverkehr

Von José Banaudo, Nizza,

Wir fahren weiter mit unserem Reisebericht Lettland. In der Folge 1 haben wir den Reiseverkehr vorgestellt, die elektrischen Triebwagen des Vorortsbetriebs von Rīga, die Dieseltriebwagen des Langstrecken-Regionalverkehrs und die mit Dieselloks bespannten Nachtexpresszüge Rīga–Moskau, –Minsk und –Kiev.

Nun folgen einige Eindrücke vom Güterverkehr, der vor allem den Export von Rohstoffen aus Russland umfasst. Die Ganzzüge aus Russland kommen in Zilupe, jene aus Weissrussland in Daugavpils über die Grenze nach Lettland. Beide Strecken vereinigen sich in Krustpils und führen über einen gemeinsamen Güterkorridor nach Jelgava, wo sich die Strecken nach den Ostsee-Häfen Liepāja und Ventspils verzweigen. Im Einsatz stehen 12-achsige, dieselelektrische Doppellokomotiven aus sowjetischer Produktion, gestellt von der Güterverkehrs-Tochtergesellschaft von Latvijas dzelzceļš (LDZ CARGO) oder von zwei privaten Gesellschaften, Baltijas Tranzita Serviss (BTS), gegründet 2001 in Rīga und AS Baltijas Ekspresis (BE), gegründet 1999 und in Ventspils beheimatet.

Die von LDZ Cargo verwendeten Lokomotiven tragen häufig den Namen der Rollmaterialgesellschaft LDZ ritošā sastāva serviss, die über Unterhaltswerkstätten in Rīga, Daugavpils, Jelgava und Rēzekne verfügen.

Wir beginnen unsere Reise in Rīga, wo uns ein Güterzug aus Süden auf der Dünabrücke überraschte. Es reichte nur für einen Schnappschuss, aber es war das einzige Mal, dass wir einer nicht umgebauten Doppellokomotive der Serie 2M62 auf der Strecke begegneten. Diese 12-achsige Doppellokomotiven mit 4000 PS wurden ab 1965 von der Lokomotivfabrik Oktoberrevolution in Woroschilowgrad, heute «Luhanskteplowos» in Luhansk gebaut, das sich seit 2014 in der international nicht anerkannten «Volksrepublik Luhansk» befindet.

Ein Dienstzug fährt am Triebwagendepot Rīga Vagonu Parks vorbei, wo modernisierte Dieseltriebwagenzüge der Reihen DR1AC 185 und 187 stehen. Die sechsachsige, dieselelektrische Lokomotive ChME3 4640 mit 1350 PS wurde in der Tschechoslowakei von Českomoravská-Kolben-Daněk (ČKD) gebaut. Etwa 8200 Exemplare wurden von 1963 bis 1994 als Serie T 669 an die tschechoslowakische Staatsbahn, aber auch nach Polen, Albanien, Syrien, den Irak, an die Breitspurbahnen in Indien und in die Sowjetunion geliefert. LDZ Cargo besitzt davon 55 Fahrzeuge, eingesetzt im Rangierbetrieb, zur Bedienung von Anschlussgleisen und für Bauzüge. Wir begegneten ihnen überall in Lettland.

Das Dieseldepot Rīga befindet sich im südöstlichen Vorstadtgebiet in Daugmale. Eine öffentlich zugängliche Passerelle führt über die Gleise des Bahnhofs, des Depots und des Rangierbahnhofs, also ein herrlicher Fotostandort. Man kann hier die vier wichtigsten Streckenlokomotiven in Lettland bewundern, von links nach rechts die TEP70 0267, eingesetzt im Personenverkehr von und nach Russland, die 2M62U 0126, die 2TE10U 0220 und die umgebaute 2M62UM 0093. Wir begegneten den letzten beiden Serien vor schweren Güterzügen während unserer ganzen Reise.

Die sechsachsige M62 1615 vor der Rotunde des Depots Daugmale. Diese Lokomotiven wurden 1965–1996 in über 3000 Exemplaren in der Lokomotivfabrik von Woroschilowgrad/Luhansk gebaut, für Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, die DDR (wo man sie Taigatrommeln nannte), Kuba, Nordkorea, die Mongolei und natürlich die Sowjetunion. Etwa 30 der 917 an die UdSSR gelieferten Loks sind noch im Bestand von LDZ Cargo. Ursprünglich waren sie mit Dieselmotoren vom Typ 14 D 40 ausgerüstet, ein Zwölfzylinder-Zweitaktmotor, der Lokomotivfabrik Kolomna, abgeleitet von einem Vorkriegsmodell von General Motors.

Dieseltraktoren sind in den baltischen Staaten selten. Der dieselhydraulische dreiachsige TGM23 BV 2601 mit Stangenantrieb, hier in Daugmale, gehört zu einer Serie, die in rund 9000 Exemplaren von 1962 bis 2006 in der russischen Lokomotivfabrik Murom gebaut worden ist. Die Version BV wurde ab 2011 in den RSS-Werkstätten von Rīga modernisiert und mit einem 540 PS-Motor von Volvo ausgerüstet.

Die sechsachsigen ChME3 3967 und 3614, gebaut von der tschechoslowakischen ČKD, hier im Depot Daugmale, werden im Raum Rīga für Rangieraufgaben und Zustellfahrten benützt.

Wir betraten das Depot über einen öffentlichen Weg, begrüssten einen Eisenbahner, der uns ebenfalls grüsste und begannen Fotos zu machen. Doch plötzlich kam dieser Eisenbahner, brachte uns in ein Dienstlokal und sagte « polis, polis ». Sein Kollege telefonierte und wir warteten nun über eine Stunde auf das Eintreffen der Bahn- und der örtlichen Polizei, die sich erstaunt über den Übereifer des Eisenbahners zeigte. Wir wurden sehr höflich behandelt, der Form halber wollte man unsere Ausweise sehen. Dann verabschiedeten wir uns mit englischen und russischen Sprachbrocken in gutem Einvernehmen. Wie um sich zu entschuldigen meinte ein Eisenbahnpolizist: Wir sind hier zwischen Europa und Russland. Das ist nicht so wie bei Ihnen!

Die Lokomotive ChME3M 6149 rangiert 3 Güterwagen zum Ablaufberg des Rangierbahnhofs von Daugmale. Es handelt sich ursprünglich um eine vierachsige, dieselelektrische ČKD-Lok, wie auf den vorherigen Bildern, aber nach einem Totalumbau ab 2011 in den RSS-Werkstätten von Rīga mit einem Caterpillar-Motor von 1550 PS umgebaut.

Hier nochmals eine vierachsige ChME3 aus tschechoslowakischer ČKD-Produktion, die 4847, hier im Bahnhof Pavinas an der Hauptachse Rīga–Daugavpils. Vor dem Einsatz im lokalen Güterverkehr auf der Linie nach Gulbene, putzte der Lokführer sorgfältig mit einem Lappen die Stirnseiten. Die meisten Lokomotiven befinden sich in einem sehr gepflegten Zustand.

Im Bahnhof Krustpils verzweigen sich die Strecken Rīga–Daugavpils (welche die beiden grössten Städte Lettlands miteinander verbindet) und Zilupe–Jelgava (als Achse von Russland zu den baltischen Häfen, mit einem intensiven Güterverkehr). An einem Sonntagmorgen fährt ein Güterzug mit gemischtem Wagenpark durch den Bahnhof, an der Spitze die achtachsige Doppellok 2TE116 559, mit 4500 PS, die in 1723 Exemplaren von 1971 bis 2007 von den Lokomotivwerken von Woroschilowgrad/Luhansk gebaut wurde.

Immer noch in Krustpils : Die schweren Züge nach Weissrussland und Litauen folgen sich auf Blockdistanz. Hier ist die 2TE10U 0221 an der Spitze, eine achtachsige Doppellok mit 4400 PS, die in 548 Exemplaren von 1989 et 1996 an die Bahnen der Sowjetunion bzw. Russlands geliefert wurde.

Hier sind wir in Ventspils an der Ostsee, wichtiger Exporthafen für Erdöl und Kohle aus Russland. Die ČKD-Lokomotive ChME3 3488 formiert einen langen Kesselwagenzug, der leer zurück nach Russland fahren wird.

Immer noch im Rangierbahnhof Ventspils. Die Doppellok 2TE116 1494 steht abfahrtsbereit vor dem Kesselwagenzug, und wir wollen sie etwas weiter von der Strasse aus, ausserhalb des Bahngeländes, fotografieren. Doch nun kommt ein Eisenbahner per Auto angefahren, zeigt uns einen LDZ-Ausweis und spricht von « Dokument » und « Polis »… Gleiches Szenario wie in Daugmale : Telefonanruf, ein Eisenbahnpolizist kommt, prüft unsere Ausweise ohne grosse Begeisterung, denn auch er teilt den Übereifer der Eisenbahner nicht. Offenbar haben gewisse Eisenbahner in Lettland noch immer die alten Reflexe der sowjetischen Zeit bewahrt, ganz im Gegensatz zu Estland und Litauen, wo uns solches nie passiert ist.

Mit dieser nicht so erfreulichen Episode endet diese Folge. Doch bevor wir Lettland verlassen, erwarten uns noch sehr schöne Entdeckungen !

Alle Fotos: J. Banaudo

Übersetzung: C. Ammann

22 Mai

150 Jahre Toggenburger Bahn – Modernisierung im 2.Weltkrieg (1.Teil)

Von Johannes Läubli, EMF St.Gallen

Vor einem Jahr  schrieb ich an dieser Stelle:

” Wie gross das Jubiläumsfest sein wird, ist noch unklar, denn 2020 wird für die Pneu(be/ab)nutzer die Umfahrung Bütschwil eröffnet … “

Nun – im Toggenburg hat sich etwas geregt und unter der Federführung der Gemeinde Wattwil sollte am 22. August im Rahmen des traditionellen Wattwilerfestes auch das Bahnjubiläum gefeiert werden. Als älteste Teilnehmerin und gleichzeitig älteste Besucherin des Bahnhofs Wattwil (seit 1910 …) wäre – erraten ! – die BT Eb 3/5 9 als Zugpferd des Festzuges Wil – Wattwil im Einsatz gewesen.

Wäre … hätte … Sowohl das Bahnfest Wattwil als auch das Strassenfest Bütschwil wurden im Blick auf die noch unsichere öffentliche Gesundheitslage auf 2021 verschoben. Auch das Zugpferd bleibt ohne Dampf im Stall. Dabei wäre der DLC (Dampfloki-Club Herisau) beim Festen gerne dabei gewesen, denn genau die Hälfte ihres nunmehr 110 Jahre umfassenden Maschinenlebens hat die Lok als Eigentum des DLC verbracht.

Zurück zur Toggenburger Bahn: Zwar war sie eine der ersten privaten Nebenstrecken, doch blieb sie auch nach der Übernahme durch die SBB im Jahre 1902 ein bescheidenes Bähnchen. Für die lokale Wirtschaft war sie die Verbindung zur Welt, die Trassierung ist bis heute ausreichend. Doch vor allem die ursprünglichen Eisenbrücken genügten den zunehmenden Belastungen nicht mehr. So kam es, dass während des Zweiten Weltkrieges nicht nur die Elektrifizierung (12.12.1943), sondern auch der Neubau der drei Brücken von Bazenheid, Lütisburg und Dietfurt unternommen wurden.

Wer könnte uns besser darüber berichten als der bereits bekannte Albert Baumberger aus Wil !

Besonders faszinierend war für ihn offenbar der Umbau bei laufendem Betrieb. Immer wieder zog es ihn zu den Baustellen.

Bereits 1942/43 wurde der Viadukt in Bazenheid saniert:

2 Bilder vom 24.Oktober 1942:

Einige Monate später, am 20.3.1943 waren die Arbeiten bereits fortgeschritten:

Nach erfolgter Elektrifizierung sieht das Bauwerk am 7.7.1945 sehr gediegen aus:

Der etwas kleinere Viadukt in Dietfurt wurde erst nach Umbau und Elektrifizierung besucht, dies am 4.Juni 1944:

Im zweiten Teil folgt der Umbau des Guggenloch-Viaduktes in Lütisburg.

Fotos: Slg .Dr. N. Widmer(†)

03 Mai

Lettland (3) Ventspils und das Tram von Liepāja

Von José Banaudo, Nizza

Von Rīga aus geht es nun an die Ostseeküste im Westen Lettlands, ins Kurland, lettisch Kurzeme, mit den beiden Hafenstädten Ventspils (43‘000 Einwohner) und Liepāja (84’000 Einwohner). Diese beiden Häfen sind wichtig für den Export von Erdöl und Kohle aus Russland. Auf den Bahnstrecken herrscht deshalb ein bedeutender Güterverkehr, während der Personenverkehr praktisch inexistent ist. Von Rīga aus fährt nur noch einmal wöchentlich ein Zugpaar nach Liepāja; nach Ventspils wurde der Personenverkehr 2001 eingestellt.

Nach Ventspils (deutsch Windau) kommt man somit nicht mit dem Zug, aber man kann dort trotzdem mit einem Dampfzug fahren! Im Ersten Weltkrieg hatte die deutsche Armee während ihrer Offensive von Ostpreussen aus ins damals russische Baltikum ein grosses 60 cm spuriges Feldbahnnetz errichtet. Einige dieser Strecken, vor allem im Kurland, wurden nach dem Krieg von der lettischen Staatsbahn weiterbetrieben. Als Erinnerung an diese Mazbánítis (kleinen Züge) welche Ventspils mit den Fischerdörfern an der Küste verbanden, besteht im Küstenfreilichtmuseum von Ventspils ein 60 cm-spuriger Feldbahnbetrieb mit einer 1,4 km langen Ringlinie (Riņķa) und einer 3 km langen Bergstrecke (Kalna).

Das sehr schön angelegte Küstenfreilichtmuseum befindet sich in einem Kiefernwald an der Ostsee, deren Wellen man zwar hört, aber die man kaum zu Gesicht bekommt. Gezeigt werden das bäuerliche Leben und die Fischereitradition im Kurland. Man entdeckt viele Holzbauten, alte Bauern- und Fischerhäuser, Werkstätten, Scheunen, sogar eine Windmühle. Die meisten Gebäude sind original und wurden von ihrem ursprünglichen Standort ins Museum geholt. Die Bahnhöfe der Schmalspurbahn sind Kopien typischer Stationsgebäude im Kurland. Der Lokschuppen ist ein Nachbau von Aizpute, und 2018 wurde die Ausstellung durch einem restaurierten Güterschuppen aus Mazirbe ergänzt, das einzige originale Bauwerk der Museumsschmalspurbahn. (sh. Bild unten das rötliche Holzgebäude links im Hintergrund)

Der Abfahrtsbahnhof heisst – natürlich – Muzejs (Museum). Dort gibt auch eine Ausstellung einen Einblick in die Geschichte der kurländischen Schmalspurbahnen. In Lettland erreichten die 60 cm-Bahnen zwischen den beiden Weltkriegen eine maximale Ausdehnung von 536 km und übertrafen damit bei weitem die Bahnen in 75 cm- und Meterspur. Der Museumsdampfzug fährt von Mai bis Oktober, täglich fünfmal auf der Bergstrecke nach Kalns und dreimal auf der Ringstrecke durch den Kiefernwald von Plumdale.

Im Bahnhof Muzejs befährt der Zug nach seiner Rückkehr eine Wendeschleife; im Endbahnhof Kalns wird die Dampflokomotive auf einer Drehscheibe gewendet. Der Triebfahrzeugpark umfasst  zwei Heeresfeldbahn Brigadeloks Brigadelok RIVb, MI-611 (Henschel 14437/1916) und MI-631 (O&K 7999/1915), sowie einen Dieseltraktor.

Bei unserem Besuch stand die Henschel-Brigadelok Ml-611 in Betrieb, die nach dem Ersten Weltkrieg von der lettischen Staatsbahn LDZ, später von der sowjetischen SZD auf den Strecken Ventspils–Stende im Kurland und bis 1973 in Jēkabpils–Viesite im Südosten von Lettland dampfte. Als Objekt des Eisenbahnmuseums Riga kam sie erst 2003 nach Ventspils, wurde 2011/12 in Kolín (Tschechien) hauptrevidiert und erhielt einen neuen Kessel und neue Aufbauten. Danach wurde 2013 auch die Brigadelok Ml-631 in Tschechien bei der «Ersten Koliner Lokomotivgesellschaft für Reparatur und Bau von Dampflokomotiven» aufgearbeitet.

Nach einer herrlichen Fahrt durch den Wald erreicht der Dampfzug über eine Holzbrücke im Stil der Militärbahnen des Ersten Weltkriegs den Endbahnhof Kalns. Die beiden offenen Personenwagen entstanden aus früheren offenen Güterwagen, die beiden Drittklasswagen L 519 und 520 mit offenen Plattformen sind Originalfahrzeuge der lettischen Schmalspurbahnen.

Der Dampfzug im Endbahnhof Kalns, der wie die andern Gebäude des Küstenfreilichtmuseums sorgfältig nachgebaut wurde. Der Heizer hat die Lok abgehängt und die MI-611 wird auf der Drehscheibe gewendet, bevor sie den Zug umfährt.

Nun fahren wir südwärts der Ostseeküste entlang nach Liepāja, deutsch Libau, bevölkerungsmässig die drittgrösste Stadt Lettlands. Zu Zeiten des russischen Zarenreichs kam Libau die Ehre zu, 1899 die erste elektrische Strassenbahn des Baltikums zu eröffnen. Heute betreiben die Verkehrsbetriebe Liepājas sabiedriskais transports die 7 km lange meterspurige Strecke Brīvības Iela–Mirdzas Ķempes Iela, welche die ganze Stadt von Norden nach Süden durchfährt und dabei den Bahnhof, das Zentrum und übrige wichtige Stadtteile bedient. (sh. auch Blog vom 11. 11. 2019)

Der Fahrzeugpark umfasst 16 Gelenkwagen ČKD Tatra KT4. Fünf davon sind von der sowjetischen Version SU, neu geliefert von 1983–1988 und elf von der ostdeutschen Version D, übernommen 2000–2005 aus Cottbus, Gera und Erfurt. (Bestellung neuer Fahrzeuge sh. EA 4/19, NiK). Auf dem obigen Bild sehen wir den rosaroten Wagen 246, übernommen 2005 aus Erfurt. Er wartet als Extrawagen für eine Hochzeit in der Wendeschleife der nördlichen Endstation Brīvības Iela auf die Gäste.

Der Wagen 239, erkennbar an seinen viereckigen Scheinwerfern, ist der einzige KT4D, der 2001 in Gera erworben wurde. Er hält vor dem Bahnhof von Liepāja, der heute vor allem als Autobusbahnhof dient. Denn pro Woche kommt hier aus Rīga der einzige Personenzug am Freitagabend an und fährt am späten Sonntagnachmittag wieder zurück; erstaunlich für eine Stadt von 84‘000 Einwohnern!

Der Wagen 233 biegt unweit des Hauptbahnhofs an der Rīgas iela (Riga-Strasse) ins Depot ein. Es handelt sich um einen KT4SU, also gebaut für die Sowjetunion, der 1988 neu nach Liepāja geliefert wurde. Zuvor standen in Liepāja auch die in der DDR gebauten Gotha-Trams im Einsatz, gefolgt von den klassischen T4SU.

Der Wagen KT4D 243 aus Erfurt fährt Richtung Stadtzentrum die Riga-Strasse hinunter, geprägt vom typischen altem Strassenpflaster, Bäumen und alten Holzhäusern.

Südlich des Tirdzniecības kanāls (Handelskanals), der die Lagune von Liepāja mit der Ostsee verbindet, durchquert das Tram die Innenstadt. Hier begegnen wir dem Wagen KT4D 240, 2003 übernommen aus Erfurt, in den Farben des Fussballvereins von Liepāja.

Der KT4SU 235 ist der letzte Tatrawagen, der 1988 unter sowjetischer Verwaltung nach Liepāja geliefert wurde. Hier verlässt er die Haltestelle Pētertirgus (Peter-Markt) bei der römisch-katholischen Kathedrale St.Josef.

Der südliche Teil der Tramlinie durchquert ruhige Wohngebiete, geprägt von traditionellen Holzbauten. Hier der Wagen KT4D 237, übernommen 2000 aus Cottbus, in der Krišjāņa Valdemāra iela.

Der KT4D 245 aus Erfurt erreicht die Haltestelle Jūrmalas iela in der Krišjāņa Valdemāra iela. Dieser Strassenname erinnert an Krisjanis Valdemars (1825-1891), einen lettischen Journalisten, Schriftsteller und Förderer der Seefahrt zur Zeit des russischen Zarenreichs.

Auch der KT4SU 231 gehört zur Lieferung der 22 Trams (216–235), die zu sowjetischen Zeiten 1983–1988 abgeliefert wurden. Wir begegnen ihm hier in einem südlichen Vorstadtgebiet an der Klaipēdas iela (Memel-Strasse), also an der Verbindung zum rund 100 km südlich gelegenen litauischen Hafen Klaipėda.

Die Werbung von Air Baltic kündigt neue Direktflüge nach Lettland an, auch Nizza–Riga, gute Idee für die nächste Reise. Klar, erst nach der COVID-19-Krise…

Alle Fotos: J. Banaudo

Übersetzung: C. Ammann

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