Das in den früheren Werkhallen von Tuchschmid eingerichtete Kompetenzzentrum für die Revision, Modernisierung und Reparatur von Schienenfahrzeugen von Stadler Rail in Frauenfeld gibt Gelegenheit zur Begegnung mit Fahrzeugen, die man sonst nur aus Bildern kennt.
So weilen seit Mitte April zwei Teile des Breitspur-Flirts 2233 von ELRON in Frauenfeld. Der Triebwagen war am 11. März auf der Fahrt von Tartu nach Valga an einem Niveauübergang in Ülenurme-Külitse mit einem Lastwagen kollidiert und entgleist. 8 Personen wurden verletzt.
Zu den Flirt in Estland noch ein paar Ergänzungen von José Banaudo:
Estland ist das einzige europäische Land, wo der gesamte Inland-Personenverkehr von ELRON (Eesti Liinirongid) derzeit mit einem Fahrzeugtyp abgewickelt wird. Zwischen Juli 2013 und Juni 2014 lösten 38 Stadler Flirt alle bisherigen Fahrzeuge aus sowjetischer Zeit ab. Allerdings unterzeichnete ELRON im Februar 2021 einen Vertrag zur Lieferung von 6 elektrischen Zügen des Typs Panter des Konsortiums Škoda Vagonka und Škoda Transportation mit einer Option für weitere 10 Einheiten.
Auf den 132 km langen, mit 3000 V Gleichstrom elektrifizierten Strecken um die estnische Hauptstadt Tallinn stehen 18 Stadler-Triebwagen im Einsatz:
– 12 dreiteilige Züge (Serie 1300)
– 6 vierteilige Züge (Serie 1400)
Für weitere Relationen auf dem nicht elektrifizierten Netz Richtung Osten (Tapa, Narva) und Süden (Tartu, Valga) sind 20 Dieseltriebwagen der folgenden drei Serien vorhanden:
– 6 zweiteilige Züge (Serie 2200),
– 8 dreiteilige Züge (Serie 2300),
– 6 vierteilige Züge (Serie 2400).
Bereits am 16. April 2014 ereignete sich eine Kollision eines praktisch neuen Flirt der Serie 2300 mit einem Lastwagen an einem Niveauübergang in Raasiku (Strecke Tallinn–Tapa).
Ein Flirt-Zug Tapa–Tallinn mit 2234 an der Spitze am 5. September 2019 in Jäneda. Foto: J. Banaudo
Der Triebwagen 2238 wartet im « Balti jaam » (Baltischer Bahnhof) in Tallinn am 4. September 2019. Foto: J. Banaudo
Im Grenzbahnhof Valga an der lettischen Grenze wartet der Triebwagen 2236 am 3. September 2019 auf seinen nächsten Einsatz nach Tartu. Die General Electric-Lokomotive 1537 der Gesellschaft Operail ist für einen Güterzug aus Lettland bestimmt. Foto: J. Banaudo
Von einer früheren Reparatur eines norwegischen Flirt haben wir auch im EA 5/21 berichtet.
In der 6. Folge unseres Reiseberichts über die Bahnen im Baltikum geht es nun um eine regionale Besonderheit, den Torfabbau. Gleich wie im benachbarten Russland und Weissrussland existiert auch in den drei baltischen Staaten ein industrieller Torfabbau, um Torfbriketts zum Heizen oder Torf für Blumenerde zu gewinnen. Zur sowjetischen Zeit waren all diese Torfabbaugebiete mit 750 mm-spurigen Bahnen erschlossen, die innerhalb der Torfmoore geeigneter waren als die Anlage von Strassen und Pisten. Die damals gelieferten, standardisierten Fahrzeuge der sowjetischen Industrie wurden im Lauf der Jahrzehnte mit viel Improvisationsgeist an die örtlichen Bedürfnisse angepasst und umgebaut.
Wir wussten, dass im Baltikum sehr faszinierende Torfbahnen existieren mussten, doch wie besuchen? Basis bildete eine vor etwa 15 Jahren, natürlich nicht mehr aktuelle Liste eines englischen Eisenbahnfreunds, dann die Suche auf Google View. Danach war die Herausforderung, die Bahnen in den weitab von den Städten gelegenen Torfmooren zu finden. Auch wenn praktisch niemand des Personals Englisch- oder Deutschkenntnisse hatte, war es dann aber relativ einfach, im persönlichen Kontakt vor Ort zu kommunizieren und die Erlaubnis zum Fotografieren zu bekommen. Klar, nur schon die Bezeichnung Torfbahnzug ist in den drei baltischen Sprachen unterschiedlich: «turva rong» (estnisch), « kūdras vilciens » (lettisch) und « durpiu traukinys » (litauisch) ! Fast am Schwierigsten ist aber, auf englischen, deutschen, dänischen, estnischen und russischen Internetseiten Informationen über den kunterbunten Fahrzeugpark zu finden. Ich hoffe deshalb, dass die nachfolgenden Angaben grösstenteils stimmen und nehme gerne Berichtigungen von Spezialisten entgegen.
Es kann losgehen. Aber passen wir auf, wo wir hintreten!
Beginnen wir mit Estland
Das Torfgebiet von Sangla liegt nahe des Dorfes Puhja (Kreis Tartu), wo sich eine Torfverarbeitungsfabrik befindet, betrieben von der englischen Gruppe Peat Mill. Der sehr freundliche, englisch sprechende Leiter dieses Werks informierte uns, dass das rund 8 km lange Torfbahnnetz nicht mehr betrieben werde und das Rollmaterial 2020 verkauft werde. Ein Angestellter führte uns dann im Auto zum kleinen Depot, wo dieses ganz spezielle Fahrzeug steht: Die vierachsige, dieselhydraulische Lokomotive TU6A 1789, (127 PS) gebaut von Kambarka, wurde zwischen 1972 und 1988 in einer Serie von 3915 Fahrzeugen gebaut. Die Führerkabine trägt noch das Signet SSSR auf kyrillisch, CCCP und sogar das Wappen der Sowjetunion! Doch als der Motor den Geist aufgab, verwendete man statt eines Ersatzes aus Russland den Motor eines Volvo-Lastwagens FL12 und baute diesen zusammen mit der Führerkabine an einem Lokende direkt über einem Fahrgestell auf. Ein anderes Fahrzeug wurde auf gleiche Weise mit einem Scania-Motor ausgerüstet.
Besuchen wir nun in Lettland den Torfabbau in Inčukalns. Betrieben wird er von der dänischen Gruppe SIA Pindstrup und das Netz umfasst ungefähr 3 km. Der Vorarbeiter, den wir am Eingang treffen, gibt uns gelbe Warnwesten und weist uns den Weg dorthin, wo demnächst ein Zug ankommen wird. Und bald ist er da. Er wird von einer Art Lieferwagen auf Schienen des sowjetischen Typs MD54-4 mit der Nummer 900073 gezogen. Etwa 7000 Exemplare dieses Typs wurden zwischen 1958 und 1974 von den Maschinenfabriken IstMZ in Istye und der Wagenfabrik von Kalinin (heute Twer) gebaut. Die Leistung übersteigt nicht 54 PS und die Ladelast pro Achse ist auf 2,6 t beschränkt, um auf schlecht unterhaltenen Gleisen fahren zu können. Weil der Gleiszustand in Inčukalns mehr Last erlaubt wurden zwei Wassertanks angebracht, um die Adhäsion zu verbessern.
Am Gleisende angekommen, wird der Zug durch eine Einrichtung geleert, die einen Container nach dem andern hochhebt und den Torf auf einen grossen Haufen zum Abtransport durch Lastwagen schüttet. Auf jedem Wagen sind zwei Container.
Auf Sichtdistanz von einigen hundert Metern hinter dem Torfzug folgt ein weiterer Zug. Aus der Ferne können wir lange nicht erkennen, was sich uns da nähert: Ein kleiner Schienentraktor mit einem Personenwagen (mit Ofenheizung), der zum Personaltransport zum Abbau und zur Lebensmittelversorgung dient.
Der Personenwagen mit seinen gesickten Seitenwänden ist klar ein Fahrzeug aus sowjetischer Zeit, der Schienentraktor Nr. 013 ist aber dänischer Herkunft. Er wurde 1941 durch die Maschinenfabrik Pedershaab produziert und seither öfters umgebaut.
In Litauen trifft man auf die meisten Torfbahnen. Jene von Rėkyva befindet sich am Ufer eines Sees, im Süden des Eisenbahnknotens Šiauliai, wohin sie auch mit einem breitspurigen Anschlussgleis verbunden ist. Die Gesellschaft AB Rėkyva betreibt ein Netz von etwa 8 km, wo verschiedene vierachsige Diesellokomotiven aus sowjetischer Produktion im Einsatz stehen.
Die Nr. 421 0002 dürfte wohl eine TU4 sein, dieselhydraulisch mit 250 PS, die zwischen 1961 und 1972 in 3210 Exemplaren in Kambarka gebaut wurde.
Die Lokomotive 400 1987 gehört zum Typ ESU2A, ausgerüstet mit einer grossen Kabine für den Personaltransport und einem Generator zur Lieferung von Elektrizität im freien Gelände. Von diesem Typ mit einem Dieselmotor von 108 PS wurden zwischen 1972 und 1988 tausend Exemplare von «Gubinskim Mekanicheskim Zavodom»
Die TU8 400 1902 fährt mit leeren Wagen zum Ufer des Rėkyva-See, um Torf zu laden. Diese vierachsige, dieselmechanische Lok mit 180 PS ist das modernste Fahrzeug. Sie wurde ab 1988 in einigen hundert Exemplaren von Kambarka gebaut; vier meterspurige Loks wurden auch nach Vietnam exportiert.
Wir beenden unseren kleinen Bericht über die baltischen Torfbahnen mit der litauischen Bahn in Sulinkiai. Das Netz von über 20 km wird von der Gesellschaft UAB Sulinkiai betrieben und besteht vor allem aus einer langen Strecke, die das Hauptabbaugebiet mit der nördlich gelegenen Torfverarbeitungsfabrik verbindet, unweit des wichtigen Abzweigbahnhofs von Radviliškis. Ein Anwohner des Depots, das wir abends verlassen vorfinden, erzählt uns, dass die Züge normalerweise morgens fahren. So begeben wir uns am nächsten Morgen an die Strecke und treffen bald auf einen angehaltenen Zug. Der Lokführer und ein Begleiter sind damit beschäftigt, eine lockere Schienenschraube anzuziehen. Dann fährt der Zug hinter der vierachsigen Kambarka-Lok TU4 (250 PS) weiter, die auch einen Satz Drahtseilschlingen und eine komplette Schneidbrennausrüstung mitführt, alles, was es im Fall einer Entgleisung braucht.
Als der Zug auf unser Höhe ankommt gibt uns der Lokführer heftig Zeichen Richtung Ende seines Zuges, und wir begreifen, dass er uns auf einen folgenden Zug aufmerksam machen will. Etwa eine Viertelstunde später folgt eine vierachsige Kambarka der Serie TU6A (127 PS) an der Spitze eines Torfzugs, hier am Niveauübergang beim Dorf Batkūnai.
Nach Ablad der beiden Züge an der Torfverarbeitungsfabrik kehren die beiden Lokomotiven TU4 et TU6A ins Depot Radviliškis zurück, wo ein Lokführer kurz Unterhaltsarbeiten ausführt, danach die Türen schliesst und zum Mittagessen geht. Für uns Zeit zum Verabschieden.
Damit schliessen wir diesen kleinen Bericht, und ich hoffe, die Fahrzeuge weitgehend richtig identifiziert zu haben. Im Baltikum sollte noch etwa ein Dutzend Torfbahnen existieren, deren Besuch ein ganzes Reiseprogramm ausfüllen würde.
Nach dem Reise- und Güterverkehr auf den estnischen Bahnen folgen nun einige Impressionen vom Tram in Tallinn. In der estnischen Hauptstadt leben in 8 Distrikten rund 441 000 Einwohner, etwa ein Drittel der Bevölkerung Estlands. Das Strassenbahnnetz ist 19,7 km lang (nach andern Quellen 18 km) und umfasst 4 Linie, betrieben von der kommunalen Verkehrsgesellschaft TALLINNA LINNATRANSPORDI (TLT). Die Gleise sind in der Kapspur, 1067 mm (3 ft 6 in), verlegt, die Fahrdrahtspannung beträgt 600 V Gleichstrom.
Bevor im März 2015 das erste CAF-Urbos AXL-Tram in Betrieb kam, wurde der Fahrzeugpark seit den 1970er Jahren von Tatra-KT4-Gelenktriebwagen des tschechoslowakischen Herstellers ČKD beherrscht. Davon stammen über 30 KT4D-Wagen von meterspurigen Trambetrieben der ehem. DDR, und mussten an die Kapspur angepasst werden.
Der Tramwagen KT4D Nr. 172, gebaut 1987 für die Strassenbahn Erfurt in der damaligen DDR, kam 2009 nach Tallinn. Wir sehen ihn auf der Linie 2 Kopli–Suur-Paala beim Hotel, wo wir unweit des baltischen Bahnhofs Balti Jaam übernachteten.
Der KT4D 147 auf der Linie 1 Kopli–Kadriorg, war 1983 an Erfurt geliefert und 2006 nach Tallinn verkauft worden. Wir sehen ihn hier an der Kreuzung der Strassen Mere Puiestee und Hobujaama, nachdem er die historische Altstadt um den bekannten Turm der Olaikirche (St. Olaf) umfahren hat.
Der KT4D 166 ist das älteste Fahrzeug des TLT-Wagenparks, denn er wurde 1978 für Erfurt gebaut und 2008 nach Tallinn abgegeben. Hier verlässt er die Endstation Kopli vor dem monumentalen Gebäude der Eesti Mereakadeemia (Estnische Marineakadamie) in Richtung Schloss Kadriorg.
Der KT4D 177 (geliefert 1987 nach Erfurt und 2013 nach Tallinn verkauft) verlässt die Haltestelle Maleva an der Linie 2 Kopli–Suur-Paala.
Zwei Triebwagen KT4D, gebaut 1990 für das Tram Gera, wurden 2017 vor ihrer Abgabe nach Tallinn durch die tschechische Firma Cegelec in Ostrava modernisiert. Sie wurden mit Chopper-Steuerung, Einholmstromabnehmer und Klimatisierung ausgerüstet und erhielten modernisierte Stirnfronten. Hier sehen wir den KT4DMC 181 bei der Haltestelle Linahahall, beim historischen Stadtzentrum mit dem Turm der Olaikirche.
Rund zwei Dutzend der von ČKD direkt nach Tallinn gelieferten KT4SU wurden zwischen 2001und 2004 mit einem niederflurigen Mittelteil zum Typ KT6NF umgebaut. Hier sehen wir den Wagen 103 von 1986 an der Haltestelle Linahall auf der Linie 1 Kopli–Kadriorg.
Ein weiterer KT6NF mit niederflurigem Mittelteil, die Nr. 123 (ehemaliger KT4SU von 1990) auf dem Eigentrassee von Pöhja-Puiestee, angelegt im ehemaligen Befestigungsgürtel der Altstadt von Tallinn.
Zwischen 2014 und 2016 hat der spanische Hersteller CAF 20 moderne Gelenkwagen des Typs Urbos AXL geliefert. Wir sehen hier die Nr. 504, die aus der Mere Puiestee ausfährt, am Gleisdreieck der Station Hobujaama, wo alle 4 Linien zusammentreffen.
Die CAF Urbos AXL 514 und 517 in der Endstation Tondi, bevor sie auf den Linien 3 bzw. 4 wieder nach dem Schloss Kadriorg bzw. zum Flughafen Lennujaam abfahren.
An der Endstation Tondi begegnet der CAF-Wagen 501 von 2014, eingesetzt auf der Linie 4, dem «Retrotram» 140 «Jüri» (sh. unten) von 1986 auf der Linie 3. Der Altersunterschied beider Fahrzeuge beträgt 28 Jahre.
Zum 130-jährigen Tramjubiläum liess TLT sechs KT4D in «Retrotrams» KT4TMR für die Linie 3 zum Barockschloss Kadriorg umbauen. Sie waren 2004 und 2005 aus Gera nach Tallinn gekommen und erhielten nun abgerundete Wagenkasten, Holzbänke, eine Lackierung in den Nationalfarben blau/schwarz/weiss und Namen (Konstantin, Johan, Jüri, Jaan, Ernst und Julius). Der Wagen 141 «Jaan», 1986 gebaut für Gera, steht hier an der Endstation der Linie 3 in Tondi.
Als letztes Bild das Umsteigen Bahn/Tram in Tondi. Vom Bahnhof, wo soeben ein Triebwagen der Serie 1300 der Gesellschaft Elron angekommen ist, führt eine Treppe zur Tramstation hinunter, wo der KT4TMR «Jüri» (ex Gera, 1986) der Linie 3 nach Kadriorg wartet.
In den nächsten Folgen geht die Reise nun nach Lettland und Litauen.
Wie angekündigt folgt nun der 2. Teil über den Güterverkehr der estnischen Bahnen.
An einem ruhigen Samstagmorgen ruhte im Grenzbahnhof Valga der Güterverkehr von und nach Lettland, und die langen Transitzüge blieben abgestellt.
Die sechsachsigen, dieselelektrischen Lokomotiven TEM2 (1200 PS) wurden ab 1960 in über 10’000 Exemplaren von den Lokomotivfabriken Briansk und Woroschilowgrad (heute Luhansk) gebaut. Die TEM2 552 ist aber das einzige Triebfahrzeug dieses Typs der Firma PLAV RT GRUPP, die in Valga über Gleisanschluss verfügt.
Auch so selten, aber viel moderner ist die sechsachsige, dieselelektrische DF7G-E 002 (2000 PS), hier im Einsatz im Rangierbahnhof von Ülemiste im östlichen Vorortsgebiet von Tallinn.16 Maschinen dieses Typs wurden durch EVR Cargo für den Rangierbetrieb und lokale Bedienungen bei der Lokfabrik 7.Februar in Peking bestellt (vergl. EA 10/11 und 10/12), aber es scheint, dass nur 2 Lokomotiven 2012–2013 in Betrieb genommen wurden und weitere Lieferungen unterblieben?
2001 wurde EESTI RAUDTEE teilweise privatisiert und zu 66 % von Ed Burkhart übernommen, dem ehrgeizigen Besitzer der US-amerikanischen Wisconsin Central Railroad. Er entschied, die bisherigen Lokomotiven aus der Zeit der Sowjetunion durch sechsachsige, dieselelektrische Lokomotiven der amerikanischen Serien C36-7a (57 Maschinen, Umbezeichnung 1501–1557) und C30-7a (19 Maschinen, Umbezeichnung 1558–1576) zu ersetzen. Sie waren zwischen 1976 und 1989 durch General Electric gebaut worden, haben 3750 PS und stammen von den Bahnen Union Pacific, Missouri Pacific und Conrail. Nach der Revision in den Vereinigten Staaten und der Umspurung auf Breitspur kommen sie seit 2002 in Estland zum Einsatz. Doch die EVR wurde 2007 erneut verstaatlicht, 2012 erfolgte eine nochmalige Neustrukturierung, bei der EVR Cargo (seit 2018 Operail) als eigenständiges Unternehmen ausgegliedert wurde und Eesti Raud nur noch reiner Netzbetreiber ist.
Die Lokomotiven des Typs C30-7a, zu aggressiv für die Gleise, wurden aus dem Betrieb genommen. 44 Maschinen des Typs C36-7ai sind weiterhin im Dienst, wie hier die 1522, eingesetzt im Rangierbahnhof von Tapa, wo sich die beiden wichtigsten Strecken Estlands Richtung Narva und Tartu verzweigen.
Eine geradezu amerikanische Szene mit den beiden sechsachsigen GE-Lokomotiven 1537 und 1544 an der Spitze eines langen Kesselwagenzugs Valga–Tartu bei der Haltestelle Puka. Die vordere Lok hat den neuen Anstrich von Operail, die zweite jenen von EVR Cargo, ähnlich wie die Farben der Wisconsin Central.
Die Lokomotiven 1536 et 1546 im Anstrich ähnlich der Wisconsin Central begegnen sich im Bahnhof Kohtla an der Hauptachse Tapa–Narva im Nordosten Estlands.
Die Lokomotive 1550 kommt an der Spitze eines langen Silowagenzugs aus Narva in Kohtla an und fährt unter der Brücke der Anschlussbahn für die Industriebetriebe von Kohtla-Järvi durch.
Die Nr. 1536 nach Abfahrt mit einem gemischten Güterzug Richtung Narva und Tallinn in Kohtla-Nomme.
Einer der wenigen kurzen Züge des lokalen Güterverkehrs mit der Lok 1515 kommt im Abzweigbahnhof Tapa an.
Die Lokomotive 1502 fährt in Valga mit einem kurzen Kesselwagenzug Richtung Tartu aus.
An verschiedenen Bahnhöfen Estland sind Dampflokomotiven als Erinnerung an längst vergangene Zeiten aufgestellt. Einige überdauerten als strategische Reserve und als Heizlokomotiven. Die L 1361 mit Achsfolge 1’E, aufgestellt auf dem Mittelperron des Bahnhofs Tapa gehört zu einer Serie von 5200 (!) Maschinen, die 1945–1955 in der sowjetischen Lokomotivfabrik Kolomna gebaut wurden: 11 Jahr lang mehr als eine Lok täglich.
Die SU 251-98 wurde 1997 beim Bahnhof Valga aufgestellt, um das 110-jährige Jubiläum der Strecke aus Tartu zu feiern. Von dieser Personenverkehrs- Lokomotive mit der Achsfolge 1’C1’ wurden 1925–1951 2681 Stück gebaut. Die für russische Lokomotiven typischen Geländer hatten den Zweck, bei Eis und Schnee die mit dem Unterhalt beschäftigten Eisenbahner vor Stürzen zu bewahren.
In der nächsten Folge besuchen wir das Tram von Tallinn, bevor die Reise nach Lettland und später Litauen weiter geht.
Vom 1.–15. September 2019 unternahmen wir eine zweiwöchige Reise durch die baltischen Staaten: Estland, Lettland und Litauen. Die drei Länder standen im Lauf ihrer Geschichte lange unter der Herrschaft ihrer Nachbarn Russland, Deutschland, aber auch Schweden und Polen, was zu einer faszinierenden Mischung von slawischen, deutschen und nordischen Einflüssen geführt hat. Die ersten Bahnstrecken entstanden zur Zeit des russischen Zarenreichs. Der weitere Ausbau und die Modernisierung fanden in der Zeit der kurzen Unabhängigkeit zwischen 1918 und 1939 statt, gefolgt von einem halben Jahrhundert unter sowjetischer Herrschaft bis 1991.
Seit der erneuten Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten haben ihre Bahnnetze eine sehr unterschiedliche Entwicklung durchgemacht. Aber es bestehen trotzdem viele Gemeinsamkeiten:
– Alle Strecken sind in russischer Breitspur, 1520 mm, mit schwerem Oberbau und durchwegs ausgerüstet mit Lichtsignalen. In den Bahnhöfen ist wenig Personal sichtbar; der Fahrdienst wird von den Stellwerken aus geregelt. Die Anlagen sind in gutem, gepflegtem Zustand und nicht mit Unkraut überwuchert. – Nur die Vorortsnetze der drei Hauptstädte sind elektrifiziert und weisen eine dichtere Bedienung mit Triebwagenzügen auf. Elektrische Lokomotiven stehen nicht im Einsatz. – Das nationale Angebot im regionale Personenverkehr ist dünn und wird mit Dieseltriebwagenzügen abgewickelt. Zwischen den drei Ländern gibt es auch keine Schnellzüge. – Aus allen drei baltischen Hauptstädten verkehrt mindestens eine tägliche Verbindung ins benachbarte Russland. Dabei handelt es sich um die einzigen Züge mit Lok und Wagen im Reiseverkehr. – Alle Züge des Reiseverkehrs sind sehr pünktlich unterwegs, auch die Nachtzüge aus den Nachbarstaaten. Kaum ein Zug ist mit Graffitis verschmiert, die man höchstens auf einigen Mauern in Vorstädten antrifft. – Der Güterverkehr wird mit Diesellokomotiven vor sehr langen Zügen abgewickelt; wir haben bis zu 80 Wagen gezählt. Es gibt eigentlich kaum noch eine regionale Bedienung, aber in Industrie- und Hafenanlagen existieren viele Anschlussgleise mit Einzelwagenladungsverkehr, was in den Rangierbahnhöfen für Arbeit sorgt. – Die breitspurigen Güterwagen haben ein sehr grosszügiges Lichtraumprofil und sind mit kyrillischen Anschriften versehen, weil ein Grossteil des Güterverkehrs mit Russland, Weissrussland und der Ukraine abgewickelt wird. Viele Wagen sind neu lackiert und Graffitis sind selten.
Beginnen wir also unsere Reise in Estland, dessen Bahn sich im Vergleich zu den zwei andern baltischen Staaten gegenüber früher am meisten verändert hat. Abgesehen von der Architektur einiger Bahnhöfe, wie hier Valga an der Grenze zu Lettland, erinnert nicht mehr viel an die sowjetische Zeit.
Das staatliche Bahnnetz der EESTI RAUDTEE (EVR) umfasst 1229 km Strecke, wovon 132 km um die Hauptstadt Tallinn mit 3000 V Gleichstrom elektrifiziert sind. 2013 wurde der nationale Personenverkehr reorganisiert und wird seither mit einheitlichem Rollmaterial durch das neue Unternehmen ELRON abgewickelt. Der Fahrzeugpark wurde bei dieser Gelegenheit mit der Beschaffung von 38 Flirt-Zügen von Stadler mit Breitspur-Profil von 3,50 m vollständig erneuert. Von den zwischen 2012 und 2014 abgelieferten Zügen sind 20 für Diesel- und 18 für elektrische Traktion ausgerüstet.
Die 6 zweiteiligen Dieseltriebwagenzüge bilden die Serie 2200. Hier sehen wir die Nr. 2236 neben den beiden sechsachsigen Dieselloks 1540 und 1537 von General Electric im Bahnhof Valga.
Die 6 Dieseltriebzüge der Serie 2400 sind vierteilig. Hier die Nr. 2404 im Bahnhof Tartu, zweitgrösste Stadt Estlands.
Schliesslich existiert mit der Serie 2300 noch eine dritte Version der Stadler-Dieseltriebwagen mit 3 Wagen. Hier begegnen wir der Nr. 2317 als Regionalzug Tallinn–Narva beim Wasserturm des Bahnhofs Rakvere.
In der Hauptstadt Tallinn fahren alle Züge im modernen Kopfbahnhof «Balti Jam» (Baltischer Bahnhof) ab. Ein Teil des Bahnhofs ist elektrifiziert, der andere dient den Dieseltriebwagen. Hier sehen wir den dreiteiligen 2317 und den zweiteiligen 2238.
Um Tallinn herum existieren drei elektrifizierte Strecken. Eine führt zum Hafen Paldiski im Westen, eine Richtung Südwesten nach Riisipere und eine Richtung Osten nach Aegviidu an der Strecke nach Narva. Der Zug 1406, hier im Vorortsbahnhof von Vesse, ist einer der 6 vierteiligen Einheiten, welche die Serie 1400 von Elron bilden.
Der Zug 1311, einer der 12 dreiteiligen Flirt-Triebwagen der Serie 1300 bei der Abfahrt in Aegviidu, wo östlich von Tallinn die Elektrifikation der Strecke nach Narva endet.
Die einzigen beiden Reisezüge mit Lokomotivtraktion sind jene der halbprivaten Gesellschaft GO-Rail, die 2006 gegründet worden war um die Expressverbindung Moskau–Tallinn zu betreiben. In Tallinn werden die Wagen vom einzigen Dieseltraktor dieser Gesellschaft, dem TGM23V 1425, rangiert. Er ist dieselhydraulisch, hat 395 PS und wurde 1973 im sowjetischen Werk Muromteplovoz gebaut, spezialisiert für Dieseltraktoren und gepanzerte Fahrzeuge!
GO-Rail setzt zwischen dem estnischen Grenzbahnhof Narva und Tallinn 4 vierachsige, dieselelektrische Lokomotiven der Serie TEP70 ein. Sie wurden 1987 im russischen Werk Kolomna gebaut und haben 4000 PS. Während unseres Aufenthaltes war täglich die TEP70 0229 an der Spitze von Zug 0005 Moskau–Tallinn zu sehen, hier bei der Einfahrt zum Rangierbahnhof Vesse im Vorortsgebiet von Tallinn.
Hier fährt in Gegenrichtung der Zug 0004 Tallinn–Moskau durch den Bahnhof Kehra am elektrifizierten Abschnitt bis Aegviidu. Dieser Expresszug bedient auch St. Petersburg, wo er nachts über eine Stunde stehen bleibt.
Nochmals die vierachsige TEP70 0229 aus dem Werk Kolomna an der Spitze des Expresszugs 0004 Tallinn–Moskau in einem typisch baltischen Waldgebiet im Westen der Abzweigung von Tapa. Die Strecke aus Tallinn führt doppelspurig bis Tapa und verläuft dann einspurig bis an die russische Grenze, wo eine russische Lokomotive den Zug übernimmt.
Der Express 0005 Moskau–Tallinn fährt am ehemaligen, hölzernen Aufnahmegebäude des Bahnhofs Kabala vorbei, erbaut 1870 bei der Eröffnung der ersten Bahn in Estland von Narva nach Tallinn und Paldiski, zu Zeiten von Zar Alexander II., dem « Befreier ».
In den nächsten Folgen geht es weiter mit dem Güterverkehr um Tallinn und mit dem Tram Tallinn.