06 Jun

Belgien – einst ein Meterspurparadies

von Johannes Läubli, EMF St. Gallen, Fotos Christian Ammann

Kusttram vor 40 Jahren: Abgestelltes Rollmaterial im Bahnhof Oostende

Angeregt durch die aktuellen Berichte von Hansruedi Ryffel kramte Christian Ammann in seinen Negativen und fand Material für einen Blick in die Vergangenheit. Belgien besass einst nicht nur das dichtestes Normalspurnetz Europas, sondern dazu noch das Meterspurnetz der SNCV/NMBS, das die entferntesten Winkel des Landes erreichte. 1929 umfasste es nicht weniger als 5300 km. Für das Jahr 1952 notiert “Jane’s World Railways” noch immer 4112 km, davon 1527 km elektrifiziert.

Überschüsse erzielte das Ganze trotz grösster Sparsamkeit nicht, wenn man von der Linie an der Nordsee und den grösseren Agglomerationen absieht. So wundert es kaum, dass in den Fünfzigerjahren Strecken in rasanter Folge stillgelegt wurden. 1965 waren noch 580 km übrig. Zudem verschärfte der Zusammenbruch der Schwerindustrie im französischsprachigen Wallonien einerseits, der Aufstieg der flämischsprachigen Hafenregion von Antwerpen anderseits die Spannungen zwischen den Sprachregionen. Bis zur Einstellung des Brüsseler „Réseau de Brabant“ am 31. Juli 1978 existierten noch 3 Betriebe (Küstenlinie, Brüssel und Charleroi).

Réseau de Brabant, Endhaltestelle Place Roger in Brüssel, März 1978

1991 wurden die Küstenlinie sowie die Trambetriebe von Antwerpen und Gent in der flämischen De Lijn zusammengefasst. Der auf eine einzige Überlandlinie und Ansätze zu einem Metronetz zusammengeschrumpfte Betrieb von Charleroi kam zum Transport en Commun, abgekürzt TEC. Unterdessen ist das Stadtnetz Charleroi wieder etwas gewachsen und 2019 soll auch in Liège (Lüttich) eine neue Tramlinie in Betrieb kommen. Das Strassenbahnnetz der Hauptstadt Brüssel samt Metro ist nach wie vor unabhängig.

Rollmaterial: Die SNCV zeichnete sich durch äusserste Sparsamkeit aus. So wurden zwischen 1927 und 1945 nicht weniger als 400 vierachsige Triebwagen des Typs “Standard” gebaut. Nach Ablauf ihrer Lebensdauer wurden sie nicht etwa abgebrochen. 200 Stück wurden mit neuen Aufbauten als Typ “S” 1953-59 erneut auf die Schienen geschickt. Einige wurden später noch ein zweites Mal umgebaut. Für die Küstenlinie wurden 31 Wagen als Typ SO für den dortigen Einrichtungsbetrieb umgebaut, also mit Türen nur auf einer Wagenseite.

Christian zeigt uns solche Züge am 12. 2. 1979.

Zug nach De Panne vor der Hauptpost in Oostende
In Oostende, beim Verlassen der Brücke über die SNCB
Zug aus Oostende in Knokke beim dortigen Depot
In Knokke in der dortigen Wendeschleife
Nach der Rückkehr von Knokke ist am Bahnhof von Ostende auch noch ein Zweirichtungstriebwagen Typ S anzutreffen
Tramzug nach Knokke in der Ausfahrt Oostende

Alle Fotos: Chr. Ammann