21 Mai

Kusttram – die längste Tramlinie der Welt

Wer beim Tramfahren einmal wirklich auf seine Rechnung kommen will, ist mit dem Küstentram in Belgien bestens bedient. Die Ursprünge gehen zurück auf ein riesiges Netz an meterspurigen Schmalspurlinien, welche teils elektrisch, teils auch nur mit Dampf oder Diesel betrieben den grössten Teil Belgiens abdeckten. Im Jahr 1950 bestand immer noch ein Netz von über 4000 km, welches ungefähr zur Hälfte elektrifiziert war. Bus- und Lastwagenkonkurrenz und weitere „Fortschritte“ führten dazu, dass in den folgenden Jahren der grösste Teil dieses einmaligen Netzes verschwand und bereits 1960 nurmehr knapp 1000 km Gleislänge betrieben wurden. Auch wenn die Strassenbahn in der Fläche weitgehend verschwand, ist Belgien für den Tramfreund nach wie vor einen Besuch wert! Nebst gut ausgebauten und weiterhin in Erweiterung befindlichen städtischen Netzen in Brüssel, Antwerpen, Gent und Charleroi ist als grösster  Rest der einstigen „Tramways Vicinaux“ die Küstenlinie von De Panne nach Knokke nach wie vor in Betrieb. Die meterspurige Linie befindet sich im flämischen Teil Belgiens, beginnt nahe der französischen Grenze und reicht über 68 km Strecke bis fast zur holländischen Grenze. 

Die Strecke beginnt in De Panne unmittelbar neben der Station der Belgischen Staatseisenbahn. Am 12. Mai 2019 erwartet uns TW 6046 in der modernen Station. Die Verlängerung bis hierhin wurde übrigens erst in den 90er Jahren gebaut. In De Panne befindet sich auch ein Depot.

Wir verlassen unseren Triebwagen in der Ortschaft Dorp um noch letzte Aufnahmen dieser mittlerweile bereits historischen Ortsdurchfahrt machen zu können. 

Die idyllische Ortsdurchfahrt wurde mittlerweile durch eine Umgehungslinie auf Eigentrassee ersetzt. 

Der Wagenpark besteht einheitlich aus Einrichtungs-Gelenkwagen. Diese wurden in den 90er Jahren gebaut und lösten die vorher verkehrenden Anhängerzüge ab. Zur Kapazitätserweiterung wurden die Fahrzeuge später durch niederflurige Mittelteile zu Achtachsern erweitert. Dieses will jedoch nicht so recht ins Bild passen, das gleiche gilt für den später zugefügten Dachaufbau über dem Führerstand. Leider sind auch ein grosser Teil der Fahrzeuge mit Totalwerbung verklebt, welche auch über die Fenster reicht und das Hinausschauen schwierig macht. Ein Besuch ist also nicht wegen der Fahrzeuge, sondern aufgrund der sehr schönen und interessanten Streckenführung zu empfehlen.

Der nächste interessante Abschnitt folgt vor Ostende, wo das Tram wirklich direkt an der Küste fährt und oftmals durch aufgewirbelten Sand eine Staubwolke nach sich zieht.

Ein weiteres Beispiel eines arg verklebten Triebwagens…

In Ostende verläuft die Strecke auf der Strasse durch die Innenstadt.

Eine Zweitwohnungsinitiative hat hier offensichtlich nie stattgefunden; die Küstenlinie führt an unzähligen „Wohnsilos“ vorbei, welche wohl nur in der Sommersaison echt bevölkert sind.

Ostende befindet sich ungefähr in der Mitte der Strecke. Früher musste hier umgestiegen werden, doch verkehren die Züge heute durchgehend. In jüngster Zeit wurde eine neue moderne Station mit Wendeschleifen in beide Richtungen sowie ein neues Depot gebaut.

Ein Blick in den Führerstand zeigt uns, dass es sich um einen „Pedaler“ handelt.

 

Gleich nach Verlassen der Station wird es richtig interessant, da das Tram erstmals über eine Drehbrücke fährt. 

Ein interessantes Detail der Fahrleitungskonstruktion. Die vom Netz unabhängige Fahrleitung über die Brücke (600 V) wird direkt eingespeist.

Diese Drehbrücke steht am äusseren Ende einer Schleuse. Damit die Strassenbahn im Falle einer geöffneten Brücke nicht längere Zeit warten muss, besteht am anderen Ende der Schleuse eine zweite Brücke, über die eine Umgehungslinie führt. Auf diesem Bild befindet sich diese Brücke in geöffnetem Zustand. Die Tramgleise sind gut sichtbar.

Diese Umgehungslinie wird im Moment neu gebaut wie die folgenden Bilder zeigen.

Nach dieser Stelle gelangen wir zu einem neuen modernen Depot.

Beim „Sleeptram“ handelt es sich nicht etwa um einen Schlaf-, sondern um einen Schleifwagen. Flämisch ist eben etwas gewöhnungsbedürftig….

Auf dem weiteren Streckenverlauf Richtung Knokke gäbe es noch viele schöne und interessante Stellen, doch ist es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, in einem einzigen Tag überall Halt zu machen. Auf dieser Strecke gibt es auch noch zwei weitere Brücken, welche für die Schifffahrt geöffnet werden können. Bei der ersten besteht eine kürzere einspurige Umfahrungslinie, während bei der zweiten ein recht langer doppelspuriger Umweg zu einer mehr landeinwärts gelegenen Brücke befahren werden muss. Die eindrückliche Zugbrücke war zur Zeit unseres Besuches geöffnet.

Die Umgehungslinie biegt vor der Brücke nach links ab.

Wie die Bilder zeigen, handelt es sich um eine wirklich imposante Konstruktion!

Mit dem Teleobjektiv fangen wir einen auf der anderen Brückenseite auf die Umgehungslinie abbiegenden Triebwagen ein. Das vor der Brücke endende Geleise ist gut sichtbar.

Und hier nochmals mit einem in die Gegenrichtung verkehrenden Zug.

Die Endstation Knokke ist nach über zwei Stunden reiner Fahrzeit erreicht.

Auch hier befindet sich ein Depot.

Der Triebwagen umfährt eine weite Wendeschleife um Richtung Ostende und De Panne zurückzukehren. Wie bereits erwähnt, handelt es sich ausschliesslich um Einrichtungsfahrzeuge. In der sehr aktiven Sommersaison kommen jedoch auch aus Gent ausgeliehene Zweirichtungsfahrzeuge zum Einsatz, welche dank vielen Gleichwechseln auch kürzere Strecken befahren können.

Damit sind wir am Ende dieses Berichts angelangt. Trotz der nicht sehr schönen Fahrzeuge ist ein Besuch unbedingt zu empfehlen. Im Mai wurde alle 15 Minuten gefahren, während die Intervalle während der Sommersaison auf 10 Minuten verdichtet werden. Im Winter und auch frühmorgens und abends fährt gelegentlich nur ein Zug pro Stunde.