16 Feb

Die Vorortspendelzüge der RhB – Teil 2

Im ersten Teil haben wir auf den grundlegenden Aufbau der Vorortspendelzüge der Rhätischen Bahn geschrieben. Dieser erweiterte Artikel widmet sich hauptsächlich den elektrischen Ausrüstungen dieser Fahrzeuge.

Be 4/4 511 am 26.03.1971 in Landquart (Foto: Gian Brüngger)

Elektrische Ausrüstung

Die Grundeinheit der Vorortszüge besteht aus Triebwagen, Zwischenwagen und Steuerwagen (Dreiwagenzug) mit einem Totalgewicht von 86 t (inklusive Nutzlast). Bis drei Dreiwagenzüge können in Vielfachsteuerung verkehren. Der Einsatz im Vorortsverkehr bedingt häufige Anfahrten und Verzögerungen. Die maximal zulässige Streckengeschwindigkeit soll raschmöglichst erreicht werden. Um den Verschleiss an Bremsscheiben und -klötzen auf ein erträgliches Mass zu beschränken, ist eine leistungsfähige elektrische Bremse unumgänglich. Von der elektrischen Ausrüstung wird bei dieser Betriebsart in kurzer Zeiten die maximale Leistung verlangt. Für die Sportzüge anderseits wird eine mittlere Leistung während längerer Zeit verlangt. Auch für diesen Betriebsfall ist eine wirkungsvolle elektrische Bremse notwendig.

Um die vorerwähnten Anforderungen erfüllen zu können, ist eine Stundenleistung von 1000 PS notwendig. Mit dieser Leistung ist genügend Reserve vorhanden, um im Vorortsverkehr gegebenenfalls einen weiteren Wagen mitzuführen. Die maximale Anfahrzugkraft wurde unter Berücksichtigung der Adhäsion so festgelegt, dass der Pendelzug (Dreiwageneinheit) auf den für den Vorortsverkehr vorgesehenen Strecken mit maximal 08. m/s2 beschleunigt werden kann. Auch im Gefälle von 45 ‰ ist es möglich, den vollbelasteten Zug mit der elektrischen Bremse in Beharrung zu halten oder zu verzögern.

Der Triebwagen ist als Thyristorfahrzeug konzipiert, das heisst, die Zugkraftreglung erfolgt stufenlos. Durch die Anwendung dieser modernen Technik ergeben sich verschiedene Vorteile wie zum Beispiel ruckloses Beschleunigen durch den Wegfall der Schaltstufen, volle Ausnutzung der Anfahrzugkraft, günstiges Verhalten im Bezug auf das Schleudern, kein Unterhalt der Schaltapparatur usw. Im weiteren ist zu bemerken, dass bei dieser Leistung und der gewählten Schaltung der Hauptstromkreise die Störung der Telephon- und Radioeinrichtungen durch Oberwellen sehr klein ist.

Einen weiteren wichtigen Teil eines modernen Traktionsfahrzeuges stellt die elektronische Steuerausrüstung dar. Die Vorteile eines Hochleistungs-Thyristortriebfahrzeuges, wie es die Vorortstriebwagen der Rhätischen Bahn darstellen, können überhaupt erst mit Hilfe der elektronischen Steuereinrichtung voll zur Geltung gerbacht werden.

Bei der bereits erwähnten häufigen Anfahrten und Beschleunigungen im Vorortsverkehr muss der Lokführer von der manuellen Bedienung des Fahrzeuges weitgehend entlastet werden, damit er sich voll und ganz der Streckenbeobachtung widmen kann. Durch die automatische Beschleunigungs- und Verzögerungskontrolle ist Gewähr geboten, dass die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten möglichst rasch erreicht werden und damit kürzeste Fahrzeiten überhaupt erst möglich sind.

Der Steuerwagen 1711 des modenern Pendelzuges am 26.03.1971 in Landquart (Foto: Gian Brüngger)

Die Pendelzüge erhielten eine Geschwindigkeitsregelung mit vorwählbarer Geschwindigkeit, Beschleunigungs-, Verzögerungs- und Stromregelung, Schleuder- und Gleitschutz und Wirkung auf die elektropneumatische Bremse des ganzen Zuges. Im normalen Fahrbetrieb stellt der Lokführer den Fahrhebel auf die gewünschte Geschwindigkeit. Die elektronische Steuereinrichtung beschleunigt das Fahrzeug unter Einhaltung der vorgegebenen Werte für Beschleunigung und Strom auf die vorgewählte Geschwindigkeit. Diese Geschwindigkeit wird nun vom Regler konstant gehalten, bis der Führer eine andere Geschwindigkeit vorwählt. Die Automatik kann durch eine im Fahrhebel eingebaute Drucktaste ausgeschaltet werden, was gestattet, bei genügender Fahrzeit den Zug ausrollen zu lassen.

Beim Bremsen, das heisst bei Talfahrt im Gefälle oder beim Vorgeben einer kleineren Geschwindigkeit bzw. Anhalten (durch Stellen des Fahrschalters auf 0), wird zuerst durch die Automatik die elektrische Bremse eingeschaltet. Genügt ihre Bremswirkung zur Erzielung der verlangten Verzögerung nicht, oder nimmt ihre Bremskraft bei kleinen Geschwindigkeiten ab (bedingt durch die Charakteristik), so wird automatisch die pneumatische Bremse zusätzlich betätigt.

Triebwagen des Zuges mit dem zweiten Führerstand am 26.03.1971 in Landquart (Foto: Gian Brüngger)

Die elektronische Steuereinrichtung ist weitgehend aus integrierten Schaltkreisen aufgebaut. Die einzelnen Komponenten sind auf steckbaren Prints aufgebaut. Eine Verklinkung sichert die einzelnen Einheiten gegen das Herausfallen. Die einzelnen Prints werden in normalisierten 19 Zoll Einschüben zusammengefasst. Diese robuste und platzsparende Bauart hat sich auf vielen Traktionsfahrzeugen bereits bestens bewährt.

Wie bereits erwähnt, können drei Dreiwageneinheiten zusammen in Vielfachsteuerung verkehren und von einem Führerstand aus bedient werden.

Die Steuer- und Heizleitungen werden dabei durch die auf der automatischen +GF+-Kupplung montierte Sécheron-Vielfachkupplung selbstätig verbunden.

Führerstand des neuen Zuges am 26.03.1971 in Landquart (Foto: Gian Brüngger)

Die Pendelzüge weisen automatische Türen auf, wobei der Fahrgast die entsprechende Türe durch eine Drucktaste vorwählt. Die Öffnung oder Schliessung erfolgt erst durch den entsprechenden Befehl des Lokführers. Zusammen mit der Lautsprecheranlage mit Innen- und Aussenlautsprechern trägt die Türsteuerung zu einem raschen Fahrgastwechsel und somit kurzen Aufenthaltszeiten bei.

Wie dieser kurze Überblick zeigt, weisen die Fahrzeuge einige wichtige Neuerungen auf. Die Entwicklung eines derart neuen Triebfahrzeuges, das vielfältige Anforderungen genügen muss, setzt naturgemäss eine enge Zusammenarbeit zwischen den entsprechenden Dienststellen der Bahn sowie den betreffenden Erstellerfirmen voraus, welche im vorliegenden Fall zufriedenstellend funktionierte.

Die Inbetriebsetzung von drei der neuen Vorortszügen bei der RhB erfolgte offiziell auf den Beginn des Sommerfahrplans vom 23. Mai 1971. Der vierte Zug folgte etwas später.

(Quelle: Archiv RhB, Archiv EA, Franz Skvor und Gian Brüngger)

11 Feb

Die Vorortspendelzüge der RhB – Teil 1

Der neue Vorortspendelzug der Rhätischen Bahn (Foto: SAAS)

Die ersten Kompositionen der klassischen RhB-Vorortspendelzüge wurden verschrottet. Grund genug, auf die Entwicklung der Züge zurückzublicken. Im EA Nr. 2 1975 ging W. Wegmann auf diese Nahverkehrs-Pendelzüge ein und verfasste einen Artikel dazu. Nachfolgend den Artikel von damals, ergänzt mit Bildmaterial.

Die stetig steigenden Anforderungen an die Kapazität im Personentransport – insbesondere auf dem Stammnetz – veranlasste die RhB in den letzten Jahren zu Untersuchungen über dies zweckmässigste Ergänzung ihres Rollmaterials.

Mit dieser Werbung wurde auf den neuen Schnellverkehr bei der RhB aufmerksam gemacht (Foto: Archiv Franz Skvor)

Aufgrund vorausgehender, eingehender Studien entschloss sich daher die RhB Ende Oktober 1968, vier moderne, leichte, dreiteilige Pendelzüge erstellen zu lassen, die vornehmlich dem Churer Vorortsverkehr dienen sollen.

Den Auftrag für den wagenbaulichen Teil erhielten die Flug- und Fahrzeugwerke AG, Altenrhein (FFA), während die neuartige elektrische Ausrüstung der S. A. des Ateliers de Sécheron, Genf (SAAS), übertragen wurde. Weitere Mitarbeiter an wesentlichen Baugruppen sind: SIG (Drehgestelle), Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle AG in Zürich (Druckluftbremse), +GF+ (aut. Kupplungen) sowie Hasler AG, Bern, für die elektrischen Geschwindigkeits- und Wegmessanlagen.

Ansicht der zur damaligen Zeit höchst modernen automatischen Kupplung am 26.03.1971 in Landquart (Foto: Gian Brüngger)

Wagenbauart

Projekt-Typenzeichnung der Pendelzüge. Diese Variante wurde so nie umgesetzt. (Foto: Archiv Franz Skvor)

Mit Rücksicht auf die Einsatzbedingungen der Pendelzüge, die relativ hohe Leistungen, Beschleunigungen und Bremsverzögerungen erfordern, war ein wirtschaftlicher Leichtbau der Wagen zum vornherein gegeben. Demzufolge wurden auch die Mittel- und Steuerwagen als selbsttragende, vollverschweisste Leichtmetallkörper ausgeführt, in Bauart FFA, von welcher die RhB neuerdings bereits eine Reihe von Wagen im Einsatz hat.

Die Triebwagen hingegen sind als Stahl-Schweisskonstruktion gebaut, da hier die Adhäsionsbedingungen (Zugkraft) im Vordergrund stehen. Da der Triebwagen statisch als Neukonstruktion zu betrachten ist, wurden an dessen Rohbau-Wagenkasten eingehende Belastungsversuche und Messungen durchgeführt, um die notwendigen Festigkeitsnachweise zu erbringen.

Ausrüstung

Entsprechend den Betriebsbedingungen der neuen Vorortszüge wurde auch die Ausrüstung derselben modern und zweckentsprechend gestaltet.

Bezüglich Disposition, Innenausstattung, Heizung, Fluoreszenzbeleuchtung usw. ist die Verwandtschaft mit den neueren RhB-Stammnetzwagen undschwer festzustellen, ebenso jedoch eine ganze reihe von zweckbedingten Abweichungen und technischen Verbesserungen.

Unter anderem sind hier zu erwähnen – ausser der nachstehend gesondert beschriebenen elektrischen Ausrüstung – zum Beispiel:

  • Der Einbau von vollautomatischen Mittelpufferkupplungen System +GF+/SAAS zwischen den Wagen und an den Zugsenden (Mehrfachtraktion)
  • Neuartige Übergangseinrichtungen zwischen den Wagen für sicheres Passieren.
  • Türbetätigung pneumatisch – Öffnen und Schliessen – zentral vom jeweiligen Führerstand aus sowie Druckknopfvorwahl bei den Einstiegen auf Wageninnen- und -aussenseite. Ferner als Sicherheit Türschliessautomatik beim Anfahren.
  • Robustere Sitzkonstruktion und Haltestangen mit Rücksicht auf höhrer Anfahrbeschleunigungen und Bremsverzögerungen (mehr Stehplatzpassagiere)

Bremsen

Ausser der leistungsfähigen, modernen elektrischen Bremse (siehe Elektrische Ausrüstung) ist mit Rücksicht auf den Betriebscharakter der Vorortszüge eine elektropneumatische Oerlikon-Bremse EP1 vorgesehen, die bezüglich Ansprechzeit usw. hier die günstigsten Voraussetzungen schafft. Das Prinzip dieser Bremse beziehungsweise deren Funktionsweise muss an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt, beziehungsweise einer gesonderten technischen Beschreibung Oerlikons entnommen werden. Zusätzlich zu vorstehenden Bremsen ist in jedem Führerstand sowie im Mittelwagen noch je eine mechanische Handbremse als vorschriftsgemässe Reserve vorhanden, ferner die üblichen Notbremsanlagen in jedem Wagen.

Ansicht des Drehgestelles aus dem Hause SIG am 26.03.1971 in Landquart (Foto: Gian Brüngger)

Fahrwerke

Sowohl die Trieb- als auch die Laufdrehgestelle sind modern konzipiert, und zwar in technischer Hinsicht als auch komfortmässig (Federung, Laufruhe). Alle Drehgestelle sind beispielsweise mit Scheibenbremsen ausgerüstet und weisen Seitenanlenkung auf (drehzapfenlos), Bauart SIG.

Die Triebdrehgestelle haben ferner gegenläufige Motoren und entsprechende Getriebe – ein weiteres Komfortmerkmal – , womit auch von dieser Seite eine Anzahl Voraussetzungen für guten Wagenlauf der Vorortszug-Kompositionen gegeben sind.

Fortsetzung folgt.

(Quelle: Archiv RhB, Archiv EA, Franz Skvor und Gian Brüngger)