16 Feb

Das unvollendete Luftseilbahn-Projekt von Campione d‘ Italia

Von Ruedi Wanner

Während fast 5 Jahrzehnten ragte südlich von Lugano eine Bauruine gegen den Himmel, welche vom Zug Lugano – Melide her gut zu sehen war. Sie erinnerte an ein Bauprojekt für eine Luftseilbahn auf den Monte Sighignola, das zwar angefangen, aber nie vollendet wurde. Weiterhin erhalten bleibt aber die unschöne Ruine der Talstation am Nordrand von Campione.

Campione am Südufer des Luganersees hat eine eigenartige politische und wirtschaftliche Stellung. Die nur 1,6 km2 grosse Fläche mit 2300 Einwohnern bildet eine italienische Enklave, welche voll von Tessiner Gebiet umschlossen ist. Grund für diese Regelung war der damalige Wunsch der Bevölkerung, nach Gründung des Kantons Tessin (1803) weiter bei Italien zu verbleiben. Heute gilt der Franken als Hauptwährung, wobei selbstverständlich auch der Euro akzeptiert wird. Telefon und Briefmarken entsprechen ebenfalls der Schweizer Regelung. Eine Postleitzahl ist dagegen für beide Länder vorhanden (CH-6911, I-22060). Zeitweise (1944-1952) gab es hier auch eigene Briefmarken.

Campione ist vor allem durch sein Casino bekannt und musste 1933 unter Mussolini den Zusatz «d’Italia» annehmen. Die recht spärliche Verbindung über den See von und nach Lugano wird durch die Schiffsgesellschaft SNL mit einer eigenen Buslinie verdichtet.

Von Campione aus sollte eine Luftseilbahn auf den rund 1300 m hohen, alles überragenden Berg Sighignola gebaut werden. Er bietet eine prachtvolle Sicht über die Bucht von Lugano, im Gegensatz zu Lanzo d’Intelvi auch auf den südwestlichen Seebereich und den Damm von Melide. Die Bahn wäre mit 1920 m Länge und 1000 m Höhenunterschied recht steil geworden; die Fahrzeit wurde mit 5 Minuten berechnet. Die Gesellschaft wollte mit einem Kapital von 1,3 Mio Fr. starten und hatte ihren Sitz in Lugano. Spätere Berechnungen ergaben dann allerdings Mehrkosten bis zu 4 Mio Fr.

Auch die Antriebseinrichtung in der Bergstation blieb unbenützt stehen. (Aufnahmen vom 4. 8. 2010)

Aus verschiedenen Gründen wurde der 1964 bewilligte Bau aber 1969 eingestellt. Massgebend waren (nach verschiedenen Quellen) Berechnungsfehler, der frühe Tod des Hauptinitianten, die geologischen und finanziellen Verhältnisse und die komplexe Lage im Grenzbereich. So konnte ein Stützpfeiler im Fels nur ungenügend verankert werden; auf der Bergstation waren grosse administrative und rechtliche Probleme (Lage nur zwei Meter von der Schweizer Grenze entfernt) zu lösen. Immerhin wurde der Antrieb bereits montiert; Seile wurden jedoch nicht gespannt. Eine Auffanggesellschaft wurde zwar 1977 gegründet, um die bereits errichteten Bauteile und die Konzession zu retten. Nach zwei Jahren kam jedoch auch diese Gesellschaft in den Ruin.

Betonierte Elemente der Bergstation blieben bis 2011 und behinderten die Aussicht.

So dämmerten seit 1969 die bereits betonierten Teile wie Berg- und Talstation sowie Stützpfeiler im Dornröschenschlaf vor sich hin. Ein Betonmast sollte die Bedienung von Pugerna und San Evasio ermöglichen; er wurde allerdings 1991 gesprengt. Wäre jedoch diese Luftseilbahn je vollendet worden, so wäre sie heute wohl eine touristische Attraktion ersten Ranges. Nicht bloss wegen der prächtigen Aussicht, sondern auch wegen der vielleicht einmaligen Tatsache, dass man mittels einer Luftseilbahn sogar zweimal eine Landesgrenze (im Transit über Schweizer Gebiet) überqueren könnte.

Die Bauruine in Campione ziert weiterhin das Ufer des Luganersees. (Aufnahme vom 19.4.2016)

Um 2007 wurde durch ein Schweizer Ingenieurbüro ein neues Projekt über eine Luftseilbahn auf den Aussichtsberg Sighignola bearbeitet, das jedoch nicht mehr von Campione, sondern von Arogno auf der Südseite her zum Gipfel führen sollte. Im Sommer 2010 wurde nach der Zeitung «Corriere del Ticino» von beiden Ländern ernsthaft geprüft, die Ruinen abzutragen. Anschliessend wurden 2011/12 die störenden Elemente der Bergstation teilweise abgebrochen. Heute ist das die Bergspitze verunstaltende «Öko-Monster» (Zitat) grösstenteils beseitigt und der Aussichtspunkt zum Erholungsgebiet umgestaltet worden.

Im EA 3/2018 folgt der Artikel von Ruedi Wanner über die Standseilbahn Lanzo d’Intelvi –Santa Margherita.