17 Nov

Die RhB wird in Augsburg eingemottet

Von Reinhard Christeller, BEA

Hier gibt es mehr Krokodil-Lokomotiven der Rhätischen Bahn als diese selbst hat. Und dort wartet gerade ein Capricorn Regionalzug vor dem roten Signal auf die Weiterfahrt. Hier nähern sich zwei heftig qualmende Dampflokomotiven, die ein paar historische Personenwagen ziehen, dort kündigt der Lautsprecher gerade den nächsten Personenzug an, und hier zieht eine moderne Lokomotive einen Güterzug mit Containern von Coop oder mit Calanda Bier.

Und auch der Glacier Express fährt gerade vorbei. Überall hat es Leute, manche im Badeanzug im Schwimmbad oder auf ihrer Dachterrasse. Dort drüben, oh Schreck, brennt gerade ein Haus bis auf die Grundmauern nieder, die schwarzen Balken sind noch zu sehen und der Rauch verzieht sich gerade.

Das alles ist vorderhand Vergangenheit. Am 9. November 2024 gab es im Bahnpark Augsburg die letzte öffentliche Vorführung der 33 m langen und 12 m breiten Modelleisenbahnanlage mit Modellfahrzeugen in Spur G mit einer Spurweite von 45 mm, im Maßstab 1:22,5 mit beinahe eineinhalb Kilometern Geleisen und 155 Weichen die weltweit grösste öffentlich zugängliche Fahrzeugsammlung der Rhätischen Bahn.

Von der Dampflok 1 bis zum modernen Capricorn Triebzug wurde jede Fahrzeugepoche der RhB dargestellt. Neben beinahe 1000 Wagen und Lokomotiven waren auch mehr als 6000 Figürchen, Menschen und Tiere in den verschiedensten Szenarien aufgestellt.

Auch Harry Potter war dort in Miniatur zu sehen, genau so wie auch der Mentor und Promotor der Anlage, der Bahn- und Informatikspezialist Jürgen Drexler, in 3D gedruckt, irgendwo zwischen den anderen Figürchen. 99 % der Fahrzeuge sind von Märklin/LGB, einige von Kiss, ESU und Eigenbauten. Viele Loks sind mit Folie beklebt oder von Kiss Modellbahnservice umlackiert worden.

Alle Loks und Triebwagen haben Digitaldecoder und 70 % auch Soundmodule und es gibt 50 Doppeltraktionen. Die insgesamt 24 Blockstellen werden durch die Digitalsteuerung der Firma Lenz automatisch gesteuert. Zusätzlich werden die Züge auch mit Funkhandreglern angesteuert wenn Sie die Blockstrecke verlassen und einfahren. Ein Display zeigt die belegten Abschnitte im Steuerstand. Die gesamte Anlage verbraucht etwa 10 kWh Strom in der Stunde bei bis zu 16 gleichzeitig eingesetzten Zügen. Im Vergleich zum Stromverbrauch einer einzelnen Grosstraktion-Elektrolokomotive von bis zu rund 5000 kWh ein bescheidener Aufwand gemessen an der von der Anlage erzeugten Freude.

Jürgen Drexler hat die Anlage mit anderen Bahnbegeisterten in Freiwilligenarbeit in den 10 Jahren seit 2013 sukzessive aufgebaut. Sie hat zwei Ebenen, auf denen gleichzeitig bis zu 16 über 5 Meter lange Züge verkehren können. Und der Reichtum an kleinen und großen, mit viel Liebe gebauten Geschichten, Alltags- und anderen Szenen war es, was diese Modellanlage so beliebt machte. An manchen Öffnungstagen strömten 300 bis 500 Besucher in die Halle, darunter viele Familien, von denen manche bis zu zweieinhalb Stunden an der Modellanlage verbrachten. Es war nicht nur der lange, belebte Bahnhof, der die Blicke auf sich zog. Eigentlich steckte jeder Quadratdezimeter der Anlage voller neuer Eindrücke.

Wenn jeweils im November der Bahnpark die „Nacht der Giganten“ ausrief, lief die Modellbahn zur Hochform auf: Dann nämlich war sie bis im letzten Winkel beleuchtet – mit mehr als 220 Lampen sowie unzähligen LEDs. Und die Züge ratterten mit hellen Scheinwerfern und roten Schlusslaternen durch die Nacht.

Aber nun fuhr die Rhätische Bahn in Augsburg am 9. November 2024 in ihrer erst einmal letzten „Nacht der Giganten“. Jetzt ist Schluss, sie muss hinaus, die ehemalige Lokomotivhalle wird renoviert und andern Zwecken zugeführt. Die Anlage wird abgebaut und zwischengelagert. „Die große Hoffnung ist, dass wir eine neue Bleibe finden, wir sind für jeden Hinweis dankbar.“ sagt Drexler. Wo findet die RhB Asyl? Die Erlebnisbahn, die einen kompakten Überblick über die Fahrzeughistorie der RhB gibt, soll wieder aufleben, am liebsten in Augsburg oder nicht zu weit davon entfernt.

Webseite: www.modellbahn-im-bahnpark.eu

Kontakt: tramway -at- christeller.net

Wer ist Jürgen Drexler?

Schon in seiner Jugend war Jürgen Drexler (56) von Bahn und Tram begeistert. Als gelernter Koch bildete er sich auf dem Gebiet der Bahn weiter und beriet zunächst Strassenbahnen. So konnte die Schweizer Industrie mit Schindler Waggon und SIG ab Mitte der 1990-er Jahre Niederflur-Wagenkasten in Wickeltechnik und vom Cobra-Tram abgeleitete Fahrwerke zunächst nach Cottbus und Mülheim an der Ruhr und später nach Göteborg und Tallinn und darauf aufbauend auch nach Basel liefern. Später kaufte er den ehemaligen VT 11.5 TEE der DB zurück und verband seine Koch- und Bahnkünste, indem er ihn im Bahnpark Augsburg als Event-Restaurant aufstellte. Danach baute er im Bahnpark die RhB-Anlage und wirkt als IT-Berater für mehrere deutsche Regionalbahnen.

Text und Fotos von Reinhard Christeller, BEA